"Ich habe mich auf der Toilette eingeschlossen und geweint." Immer wieder habe sie Demütigungen aufgrund ihrer dunklen Hautfarbe erlebt, erzählt die ehemalige Schwesternschülerin Maria H. (Name der Redaktion bekannt) dem Evangelischen Pressedienst. Die heute 58-Jährige machte Mitte der 90er Jahre eine Ausbildung zur Krankenschwester in einer Klinik in Berlin.
Einmal riecht es im Zimmer eines Patienten nach Kot. Da sagt eine Krankenschwester zu ihr, der Auszubildenden, sie solle Deo benutzen, sie stinke. Ein anderes Mal ruft eine ältere Patientin, als sie ins Zimmer kommt: "Hilfe, Polizei!"
Irgendwann ist es der jungen Frau zu viel. Sie schließt ihre Ausbildung zur Krankenschwester ab, will aber nicht im Krankenhaus bleiben. Heute arbeitet sie bei einem Verband in der Sozial- und Gesundheitsberatung. Ihre Zeit im Krankenhaus ist zwar schon lange her, aber auch heute höre sie immer wieder Berichte von Menschen, die im Krankenhaus rassistische Erfahrungen machen, sagt sie.
Dass Menschen im Gesundheitswesen rassistisch diskriminiert werden, weiß auch Sidra Khan-Gökkaya. Die 32-jährige Migrationsforscherin ist seit Juni 2020 die erste Beauftragte für Migration, Integration und Antirassismus am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE).
"Zum Beispiel sagen Patientinnen und Patienten zu Mitarbeitenden, dass sie sich von ihnen nicht behandeln lassen wollen. Manchmal werfen sie auch noch eine rassistische Beleidigung hinterher. Oder sie sprechen ihnen ihre Kompetenz ab und fragen: 'Können Sie das überhaupt? Wo haben Sie das denn gelernt?'" Rassismus im Krankenhaus treffe nicht nur Ärztinnen und Pfleger, sondern auch Patientinnen und Patienten. Absichtliche rassistische Diskriminierung müsse arbeitsrechtliche Konsequenzen haben, sagt Khan-Gökkaya.
Derzeit untersucht das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM), wie groß das Ausmaß von Diskriminierung im Gesundheitswesen ist. Die Berliner Forscher wollen wissen, ob ein Migrationshintergrund oder der soziale Status eines Patienten oder einer Patientin Einfluss auf die medizinische Behandlung haben. Die Studie ist Teil des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors (NaDiRa) zum Thema Rassismus. Ein erster Bericht zu den gesundheitlichen Folgen von Rassismus soll Ende dieses Jahres veröffentlicht werden.
"Wären Sie in Afrika, dann wäre es viel schlimmer"
Wissenschaftliche Daten zu rassistischer Diskriminierung im Gesundheitssystem in Deutschland und ihren Folgen gibt es wenig. Vieles, was über Rassismus im Gesundheitswesen bekannt wird, basiert deshalb auf Erfahrungsberichten.
So wie in dem Fall der Frankfurter Kommunalpolitikerin und Antidiskriminierungsaktivistin Mirrianne Mahn. Im vergangenen Jahr postete die Schwarze auf Instagram ein Video aus dem Krankenhaus, in dem sie sich weinend über das Verhalten eines behandelnden Arztes beschwert: "Wären Sie in Afrika, dann wäre es viel schlimmer", habe der Mediziner unter anderem zu ihr gesagt.
Das Video wurde mehr als eine Million mal geklickt, auch klassische Medien wurden auf Mahns Bericht aufmerksam. Viele Menschen schrieben daraufhin an die Politikerin und berichteten von ihren eigenen Erfahrungen. Sie habe gewusst, dass es Rassismus im Gesundheitswesen gibt, doch das Ausmaß sei ihr nicht bewusst gewesen, erklärt Mahn.
Mit Diskriminierung im Gesundheitswesen beschäftigt sich die Gesundheitswissenschaftlerin Theda Borde, Professorin an der Berliner Alice-Salomon-Hochschule. "In Ausbildung und Studium wird das Thema meist nur am Rande behandelt. Die Curricula orientieren sich am weißen Mittelschichtpatienten", sagt sie.
Doch Borde sieht, dass sich etwas ändert: Krankenhäuser würden diverser. Seit 2020 Menschen auch in Deutschland für die Black-Lives-Matter-Bewegung auf die Straße gegangen sind, sei das Thema Rassismus mehr im Bewusstsein angekommen.