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28. September, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Lauchhammer – Tod in der Lausitz"
Ein dicht gearbeiteter Krimi mit mehr als zwanzig Protagonist:innen, in dem die Braunkohlegebiete der Lausitz die heimliche Hauptrolle spielen. Eine ungewöhnliche Licht- und Kameraführung steigern die Wirkung der Szenen.

Einst hat Gott die brandenburgische Lausitz als Königin unter den Landschaften erschaffen; aber dann hat der Teufel die Kohle darunter gelegt, raunt die Stimme des Erzählers. Deshalb zeigen die Bilder zwischendurch immer wieder Aufnahmen einer Region, die tot wie der Mond wirkt: eine menschenleere Gegend, in die ein gigantischer Bagger mit mechanischer Gleichgültigkeit riesige Wunden reißt. In der Nähe des Tagebaus haben sich Klimaschützer in einem Wald eingenistet.

Die sechsteilige Serie handelt auch vom Generationenkonflikt: Die Alten haben mit der Kohle einst das Land gewärmt und verstehen nicht, dass die Jungen dies nun als Frevel betrachten. In erster Linie ist "Lauchhammer – Tod in der Lausitz" jedoch ein Krimi: Am Rand der riesigen Grube liegt die Leiche eines Teenagers. Die Nachforschungen ergeben, dass in früheren Jahren offenbar schon weitere junge Frauen nach ähnlichem Muster ermordet worden sind. Die Spur führt vier Jahrzehnte zurück.

Der Reiz von "Lauchhammer" resultiert nicht zuletzt aus der Konfrontation eines Kommissars mit den Gespenstern seiner Vergangenheit: Zuständig für die Ermittlungen ist das LKA Cottbus. Maik Briegand (Mišel Mati?evi?) ist als Sohn des früheren Polizeichefs (Uwe Preuss) in Lauchhammer aufgewachsen, er kennt die Region und die Leute, was die Ermittlungen nicht immer erleichtert. Am Fundort der Leiche trifft er auf seine neue Partnerin; Annalena Gottknecht (Odine Johne) braucht im Gegensatz zum Kollegen keinerlei Rücksicht auf Freund-, Seil- oder Verwandtschaften zu nehmen.

Viele sechsteilige Serien à 45 Minuten würden auch als zweiteiliger Fernsehfilm funktionieren; diese dagegen ist keine Minute zu lang. Die Autorinnen Frauke Hunfeld und Silke Zertz nutzen die Zeit, um eine Vielzahl faszinierender und markant besetzter Figuren einzuführen, von denen selbstredend einige als Verdächtige in frage kommen, darunter der obdachlose Oliver (Lucas Gregorowicz), der mal Maiks bester Freund war, bis ihn ein traumatisches Jugenderlebnis komplett aus der Bahn geworfen hat, sowie ein vierschrötiger Polizist (Marc Hosemann), der auf eigene Rechnung arbeitet.

Es haben ohnehin eine Menge Männer Dreck am Stecken, darunter auch Maiks Bruder (Christian Kuchenbuch), früher ebenfalls Polizist, der mit undurchsichtigen Geschäften zu Geld gekommen ist. Der Windigste von allen ist ein Wessi: Florian Langendorff (Arnd Klawitter) verkauft den gutgläubigen Einheimischen Träume von einem "Haus am See", weil dereinst aus der Gegend eine prächtige Seenlandschaft werden soll, wenn der Tagebau erst mal eingestellt wird. Außerdem hat der Mann ein Verhältnis mit Maiks Ex-Frau.

Die Autorinnen haben diese personelle Gemengelage mit ihren rund zwei Dutzend Rollen zu einer Geschichte verwoben, deren Intensität nicht einen Moment nachlässt. Die Handlung schlägt ständig Haken, jede Antwort wirft neue Fragen auf. Mehr als bloß sehenswert ist "Lauchhammer" auch wegen der Bildgestaltung. Regisseur Till Franzen und Kameramann Felix Novo de Oliveira haben der "Ostern"-Serie (mit kurzem "O") ein scheinbar schlichtes, aber effektvolles Lichtkonzept verpasst.

Die Außenaufnahmen sind in gleißende Hochsommerhelligkeit getaucht, die eine trostlose Endzeitstimmung verbreitet und die Unwirtlichkeit des Ostelbischen Braunkohlereviers verstärkt; innen ist es dagegen gern düster, weil sich die Menschen vor der Hitze schützen. Rottöne gibt es gar keine, Grün nur wenig.

Dass sich die Kamera mitunter gern in Kniehöhe bewegt, ist gleichfalls mehr als bloß eine Spielerei: Bei allen Opfern findet sich ein Wolfsbezug, Wölfe werden zudem regelmäßig erwähnt. Die Rückblenden konzentrieren sich dank einer speziellen Optik auf das Zentrum der Bilder, die Ränder bleiben unscharf. Das entspricht der menschlichen Erinnerung, die sich gern ein auf ein Ereignis fokussiert und das Drumherum außer acht lässt. Franzen hat zuletzt für die ARD-Tochter Degeto Charlotte-Link-Verfilmung "Die Suche" mit Henny Reents und Lucas Gregorowicz gedreht; auch dort spielte die Landschaft die heimliche Hauptrolle.

Und dann sind da noch die beiden Hauptfiguren. Mišel Mati?evi? ist eine famose Besetzung für den tiefenentspannten Kommissar, der aber auch anders kann, wie eine Rückblende mit Gewaltexplosion offenbart. In einer der schönsten Szenen schimpft die neue Kollegin über ihre pedantische frühere Chefin, ohne zu merken, dass all’ die Negativattribute, die sie aufzählt, eine perfekte Selbstbeschreibung sind; Maik schaut sie bloß an und lächelt stillvergnügt in sich hinein.

Neben der Akribie, mit der Gottknecht sämtliche Kollegen nervt, zeichnet sie sich vor allem durch einen Lara-Croft-Stil aus, der ihre Zierlichkeit betont, sie aber auch angriffslustig wirken lässt. Endgültig preiswürdig ist schließlich die Leistung von Hunfeld und Zertz, die die vielen verschiedenen Erzählstränge mit großem Geschick zu einem Handlungsteppich verwoben haben und nebenbei auch noch den strukturellen und kulturellen Wandel der Region erzählen; vom Klimawandel ganz zu schweigen. Im Unterschied zu anderen Serien mit ähnlich großem Ensemble verliert man nie den Überblick, was nicht zuletzt eine Frage der Besetzung ist. Dazu zählt, wenn auch ungenannt, unter anderem Walter Kreye, dessen unverwechselbare Erzählstimme jede Episode einleitet.