"Diese documenta kann auch scheitern", warnte die damalige Generaldirektorin Sabine Schormann bei der Eröffnungspressekonferenz am 13. Juni im Kasseler Auestadion. Da meinte sie vor allem den künstlerischen Ansatz der Kuratorengruppe "ruangrupa" aus Indonesien, der mit dem westlichen Kunstverständnis nicht so ohne weiteres kompatibel erschien.
Gescheitert aber ist nicht unbedingt die Weltkunstausstellung mit ihrem neuen Konzept, sondern Sabine Schormann selbst. Gescheitert an voreilig abgegebenen Versprechungen, es werde nichts Antisemitisches zu sehen sein, an ihrer schwerfälligen Kommunikation und schließlich an der nicht immer einfachen Verständigung mit einer künstlerischen Leitung aus neun Personen.
Die schon Anfang des Jahres losgetretene Antisemitismus-Debatte, die kurz vor Ende der "documenta fifteen" noch einmal wegen rund 50 Jahre alter pro-palästinensischer Propagandafilme eskalierte, überschattete die eigentliche Auseinandersetzung mit dieser documenta. Dieselben Filme hatte der evangelische Kulturbeauftragte Johann Hinrich Claussen bereits kurz nach Eröffnung der Ausstellung als antisemitisch und "gezielte Provokation" kritisiert.
In der öffentlichen Debatte geriet die bisweilen als "Antisemita" verspottete Schau unter Generalverdacht des Antisemitismus - eine Beleidigung für die weitaus meisten der 1.500 beteiligten Künstler.
Auf manche von ihnen wirkten die Äußerungen von Politikern wie der Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne), auf künftige Ausstellungen mehr Einfluss nehmen zu wollen, wie eine Drohung. Dies und die Einsetzung eines von "ruangrupa" abgelehnten Expertengremiums, das die documenta nach weiteren antisemitischen Darstellungen durchforsten sollte, wurde von den Kuratoren als Versuch einer Zensur gesehen und zurückgewiesen.
Manch Kunstwerk entstand erst vor Ort
Die Philosophie von "ruangrupa", dass es nicht auf das Kunstwerk, sondern auf den Prozess der Entstehung des Kunstwerkes ankomme, zeigte sich in vielen Bereichen der Ausstellung, wo teilweise Kunstwerke erst entstanden oder keine Kunst im abendländischen Sinne gezeigt wurde. Die "Black Archives", die den Rassismus dokumentieren, die "Aboriginal Embassy", die auf die Entrechtung der Ureinwohner Australiens aufmerksam machte oder der Kindergarten im Fridericianum ließen sich nur schwer als klassische Kunst bezeichnen.
Um so eindrücklicher zeigten hingegen einige Künstler, wie aus Schrott und Abfall eindrückliche Kunst geschaffen werden kann. So etwa die Gruppe Ghetto Biennale aus Haiti, die eine Kirche als Ausstellungsraum bespielte, oder die bosnische Roma-Künstlerin Selma Selman, die Kühlerhauben von Autos in Kunstobjekte verwandelte. Aber auch Alltagskunst auf Afrika war zu sehen, so etwa Wandbehänge oder Holzfiguren aus Mali.
Positiv dürfte vielen Besuchern aufgefallen sein, dass die von der documenta oft betonte Nachhaltigkeit keine Worthülse blieb. So gab es in der documenta-Gastronomie keine Plastikbecher oder Plastikbesteck, der Abfall wurde stark reduziert. Als Verkaufsstände für Eintrittskarten dienten einfache Rollbehälter, wie es sie in jedem Supermarkt gibt. Sitzgelegenheiten wurden aus alten Paletten oder umgebauten Stuhlresten erstellt. Viele der Gegenstände sollen nun gemeinnützigen Einrichtungen überlassen werden.
Neu waren auch die über die Ausstellung verteilten Festivals (Meydan), die Teilnahme daran war kostenlos. Überhaupt gab es auf der Ausstellung zahlreiche Gelegenheiten, selbst mitzumachen, so etwa beim gemeinschaftlichen Kochen der Künstlergruppe Britto Arts Trust aus Bangladesch oder beim Bau von Möbelstücken aus Holzresten. Das war etwas Neues auf der documenta.
Eine Folge der Schau ist nicht zuletzt, dass nun in der Gesellschaft wieder mehr über Antisemitismus diskutiert wird. Eine Debatte, die dingend nötig ist. Denn Antisemitismus, so sagte es der israelische Soziologe Natan Sznaider auf einer Veranstaltung am Rande der documenta, sei ein integraler Bestandteil der Moderne, der nicht "wegpädagogisiert" werden könne.