Vor der Kirche steht ein weiß-blauer Eiswagen. Schon mal ein guter Anfang, auch wenn es gerade stürmt und regnet an diesem grauen Septembersamstag. Die Geste zählt, und die sagt: Herzlich willkommen! Der Kirchenkreis im hessischen Hanau lädt Interessierte in die Neue Johanneskirche ein, sich taufen zu lassen: Ganz spontan, ohne große Vorbereitung. Vier Stunden lang.
Die Ankündigung auf Flyern, in der lokalen Presse und im Rundfunk hat erstaunlich viele Menschen angelockt. Auch von weiter her, so wie Petronella Helm. Die 75-Jährige ist mit ihrem Lebensgefährten aus der Nähe von Heidelberg gekommen. "Nachdem ich im Radio davon hörte, hab ich einfach entschieden: das mach ich jetzt", sagt sie und strahlt.
Der Gedanke an eine Taufe beschäftigt die gebürtige Holländerin schon seit langen Jahren. Sie hat auch Kontakt zu ihrer Kirchengemeinde vor Ort, aber irgendwie hatte es bisher nie gepasst. In Hanau fühlt sie sich rundum gut aufgehoben. "Es war einfach sehr, sehr schön." Besonders treffend findet sie ihren Taufspruch aus Johannes 8: "Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben." Er erinnert sie an die Erfahrung, die sie bei einem schweren Bergunfall gemacht hat – ein Schlüsselmoment in ihrem Leben.
Der Ablauf ist der gewohnte – nur eben im Zeitraffer: im Taufgespräch geht es um die Lebensgeschichte des Täuflings und die Hintergründe der Taufe, anschließend wird der passende Bibelvers und die Musik ausgewählt. Unter Mithilfe von Ehrenamtlichen basteln die Täuflinge dann noch ihre Taufkerze, ehe es ernst wird. Für die Taufen steht je nach Vorliebe entweder die geräumige Kirche oder das eher intime Turmzimmer zur Verfügung.
Auch die Pfarrer:innen sind glücklich
Die vier Pfarrer:innen kommen in den vier Stunden kaum zur Ruhe: Zum Vorgespräch in Zivil, dann den Talar überziehen und zur Taufe schreiten. Doch während der liturgischen Handlung ist von Geschäftigkeit nichts mehr zu spüren. Es herrscht eine dichte und intime Atmosphäre.
Am Taufstein singt Pfarrer Horst Rühl mit eindrucksvoller Bassstimme und begleitet sich selbst auf der Gitarre: "Halleluja" von Leonard Cohen – das hat sich die Jugendliche gewünscht, die gerade an der Reihe ist. Nur ihre Eltern stehen dabei, als der Geistliche ihren Kopf benetzt, die Taufformel spricht und anschließend den Taufspruch auslegt. Nachdem das Mädchen ihre Taufkerze entzündet hat, gibt es Umarmungen für alle, und auch der Pfarrer ist ganz glücklich. "Es ist auch für mich eine tolle Sache, das zu erleben", sagt er.
Seiner Kollegin Miriam Weiner geht es ganz ähnlich, sie ist begeistert von den "Menschen mit kunterbunten Lebensgeschichten", denen sie begegnet. Nachdem die Zahl der Taufen während der Corona-Pandemie zuletzt noch einmal stark zurückging, habe sich das Team des Kirchenkreises Gedanken über ein neues Angebot gemacht. "Es gibt viele Menschen, denen Glaube und Kirche wichtig ist, aber eben nicht im Kontext einer Ortsgemeinde", beobachtet die junge Pfarrerin. Die niedrigschwellige Taufe - "ohne Glaubenskurs, Personalausweis genügt" - sei für diese Menschen "ein tolles Angebot".
Das Konzept der "Drop-In-Taufen" kommt aus Skandinavien und auch in Hamburg gibt es das Angebot, sich spontan taufen oder trauen zu lassen – auf Schiffen mit live-Musik. In Hanau hat Pfarrerin Margit Zahn von der Projektstelle "Leben feiern" das Angebot koordiniert. "Ich war mir unsicher, ob überhaupt jemand kommen wird", sagt sie. Die Rückfrage bei "St. Moment", der Kasualien-Agentur der Nordkirche, machte Mut: "Die sagten: ‚Wenn ihr es im Radio ankündigt, kommen bestimmt auch Leute von weiter weg‘. Am Ende sind es 13 oder 14 Taufen und neun Tauferinnerungen gewesen."