"Experten rechnen damit, dass am 19. September mehr als 4,1 Milliarden Menschen einschalten - mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung", sagte Marcel Schütz, Professor für Organisation und Management von der Northern Business School Hamburg, dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Der Mythos Elizabeth II. wird jetzt nicht geboren, er wird vollendet. Mehr Weltbühne geht nicht."
Die weltweite Anteilnahme werde durch gegenwärtige Krisen womöglich noch befördert. "Erst Seuche, dann Krieg, und jetzt stirbt noch die Queen - so denkt manch einer spontan", sagte der Soziologe. Hinzu kämen wirtschaftliche Verwerfungen und, im Vereinigten Königreich, politische Instabilität.
"Vor diesem Hintergrund ist der Tod von Elizabeth II. eine Abwechslung, etwas Vertrautes aus alten Zeiten, das nichts mit Politik, Energiekosten und Beschränkungen zu tun hat." Als Jahrhundertfigur des 20. Jahrhunderts habe die Queen für die Briten, aber auch für viele Deutsche, die Verbindung zu einer scheinbar stabileren Vergangenheit repräsentiert. "Daher haben viele das Gefühl, dass mit ihr eine Ära endet."
Die Faszination der britischen Monarchie rührt laut Marcel Schütz auch daher, dass sie im Grunde ein Anachronismus sei. "Der Reiz von Institutionen liegt überhaupt darin, dass sie immer etwas aus der Zeit Gefallenes, etwas Überzeitliches an sich haben", erklärte Schütz. Ähnlich verhalte es sich mit der Kirche, deren Rituale ebenso für Kontinuität und Tradition stünden wie die der Monarchie. "Ein größerer Kontrast zum hektischen, nervigen und stressigen politischen Tagesgeschäft ist kaum denkbar."
"Charles hat nicht die Qualitäten seiner Mutter"
Zudem überzeugten die westlichen Monarchien heute durch ihre Popularität beim Volk. "Das ist eine durchaus ironische Pointe der Geschichte. Denn traditionell stützt sich die Monarchie ja auf Gottes Gnade", sagte Schütz. Dadurch, dass sich Könige und Königinnen als Personen beliebt machten, hätten sie das Kunststück fertiggebracht, die Monarchie in der liberalen Demokratie zu festigen. "Ob Carl Gustaf in Schweden, Margarethe in Dänemark oder eben Elizabeth II.: Die Monarchen sind Volkslieblinge."
Die Historikerin und Königshausforscherin Barbara Stollberg-Rilinger zweifelt dennoch daran, dass die Monarchie in Großbritannien nach dem Tod von Elizabeth II. noch längere Zeit besteht. "Charles hat nicht die Qualitäten seiner Mutter", sagte die Professorin der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (17.9.). Zudem verkörperten seine Söhne die Institution der Monarchie nicht mehr im klassischen Sinne.
"Die Prinzen und ihre Frauen inszenieren sich nicht wesentlich anders als andere Prominente. Vor allem Harry und Meghan unterscheiden sich in ihrer kommerziellen PR kaum von anderen 'Influencern'", sagte die Rektorin des Wissenschaftskollegs zu Berlin. Theoretisch könnten sie auch Fußballstars sein - "nur dass sie nicht etwas außerordentlich gut können". Es finde daher eine beträchtliche Nivellierung statt.
Hinzu kämen historische Lasten, fügte die Historikerin hinzu. "Ich würde mich nicht wundern, wenn die veränderte Sicht auf Kolonialismus und Imperialismus dazu führte, dass die Briten ihre Monarchie in der näheren Zukunft abschaffen."