Wenn man nur lange genug gräbt, findet man fast überall eine Leiche im Keller. Bei Krimis, die in den besten Kreisen spielen, ist der trügerische Schein einer glitzernden Fassade quasi obligatorisch. In seinem neunten Drehbuch für den "Zürich-Krimi" setzt Wolf Jacoby allerdings noch eins drauf. Wie zuletzt führt die Spur in die Vergangenheit, weil sich hinter der ersten Wahrheit eine zweite verbirgt; erneut stößt der Zürcher Anwalt Borchert (Christian Kohlund) auf ein Verbrechen, das ungleich grausiger ist als das Wirtschaftsdelikt, das er zunächst entdeckt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Der Titel der letzten Episode, "Borchert und das Geheimnis des Mandanten", würde auch zum sechzehnten Film passen. Allerdings ist die Mandantin diesmal eine Frau, die offenbar Opfer eines Komplotts geworden ist: Sie wird beschuldigt, mit ihrem Auto einen Mann lebensgefährlich verletzt zu haben und davongefahren zu sein. Ein Unfall mit späterer Todesfolge, dazu Fahrerflucht: für die Polizei reine Routine. Julia Egger (Anna Herrmann) ist trockene Alkoholikerin, vermutlich hatte sie einen Rückfall; Schublade zu, Fall gelöst.
Das Publikum weiß es besser: Julias Wagen ist vorsätzlich von der Straße gegen mehrere Müllcontainer gedrängt worden, den Mann konnte sie gar nicht sehen, weil er zwischen den Behältern stand. Borchert und seine Partnerin Dominique Kuster (Ina Paule Klink) glauben ihr. Als sie gegen eine unangemessen hohe Kaution freigelassen wird, ereilt sie das nächste Ungemach: In letzter Sekunde kann ein mutiger Nachbar die Jugendpsychologin aus den Flammen ihrer Wohnung retten; und Borchert beginnt zu ahnen, dass es irgendjemand auf Julia Egger abgesehen hat.
Zunächst wandelt sich "Borchert und die dunklen Schatten" (Regie: Roland Suso Richter) jedoch zum Familiendrama: Julias Mutter (Julia Blankenburg) ist zum zweiten Mal verheiratet, der Gatte (Pierre Besson) ist Banker und steht kurz vor der Krönung seiner Karriere. Die Verhältnisse bewegen sich allerdings in der Nähe des Gefrierpunkts, das Ehepaar hat sich im Grunde bereits getrennt; Julia hat ohnehin kaum noch Kontakt zu den beiden. Umso enger ist die Beziehung zu ihrer Halbschwester: Nach dem Brand ist Mavi (Flora Li Thiemann) überzeugt, dass jemand Julia umbringen will. Mit Mavis Hilfe findet Borchert schließlich heraus, dass der Banker in milliardenschwere krumme Geschäfte verwickelt ist.
Aber was hat das mit den Mordanschlägen auf Julia zu tun? Und warum mussten zwei weitere Menschen sterben, die ihr geholfen haben, als sie in großer Not war?
Weil Krimireihenfiguren mehr aus publikumsstrategischen denn aus dramaturgischen Gründen auch ein Privatleben haben sollen, lassen sich die Autoren immer wieder mal neue Probleme in der Beziehung zwischen Dominique und Polizeihauptmann Furrer (Pierre Kiwitt) einfallen. Darauf hat Jacoby diesmal verzichtet. Der mit seiner Vergangenheit hadernde Borchert, der lieber in einem Wohnwagen auf dem großzügigen Anwesen der Familie lebt, als in sein Elternhaus zu ziehen, ist ohnehin die ungleich interessantere Figur.
Und das nicht nur, weil Kohlund den Anwalt ohne Rücksicht auf Allüren à la "So wollen meine Fans mich nicht sehen" am Morgen zerknittert und zerstrubbelt verkörpert: Erst blättert Borchert wehmütig in alten Fotoalben, dann entwickelt er einen längst vergessenen Film aus Vaters uralter Kamera, und schließlich probiert mit Hilfe des neuen Hobbys ein bisschen, wie sich ein Ruhestand anfühlen könnte.
Das ist ein netter Anschluss zum letzten Film, als ihm eine Fotografin das Geheimnis ihres Erfolges anvertraut hatte: den Moment erahnen, bevor er stattfindet. Und so spielen die Aufnahmen, die er am Tag nach dem Brand in Julias Wohnung macht, eine besondere Rolle, denn Sekretärin Regula (Susi Banzhaf) entdeckt auf den Bildern eine entscheidende Kleinigkeit, die einem Mann nicht aufgefallen wäre. Ein Beweis für einen Mordanschlag ist das allerdings nicht, wie sich ohnehin sämtliche Indizien auch ganz anders interpretieren ließen.
Auch darin zeigt sich die Qualität von Jacobys Drehbuch: Nicht nur die Story ist stimmig, die Details sind zudem clever ausgedacht. Die Bildgestaltung (wie zuletzt Max Knauer) ist ohnehin erneut vorzüglich; schon allein Julias Rettung aus den Flammen eine Szene von hoher Intensität. Wie wirkungsvoll sich auch die Tonspur einsetzen lässt, belegt der Schluss, als sich nähernde Stöckelschuhe den gleichen Effekt haben wie eine krachend ins Schloss fallende Zellentür.