Natürlich ist es bedauerlich, wenn die Hauptdarstellerin einer beliebten Filmreihe ihr Engagement beendet, weil sie sich neuen Herausforderungen widmen will. Die Frage ist nun, ob der Sender den Wechsel als Chance begreift oder ob er so weitermacht wie bisher; es wirkt allerdings regelmäßig wie eine Beleidigung der Publikumsintelligenz, wenn die zentrale Rolle zwar nach wie vor denselben Namen trägt, aber ein ganz anderes Gesicht hat.
Angesichts der vierten "Eifelpraxis"-Episode mit Jessica Ginkel als Nachfolgerin von Rebecca Immanuel lässt sich feststellen: Die ARD-Tochter Degeto und die Produktionsfirma UFA haben das Beste aus dem Wechsel gemacht, indem sie eine völlig neue Figur erschaffen haben. Gerade die Idee, dass Vicky Röver als Versorgungsassistentin eines Hausarztes in ihre alte Heimat Monschau zurückkehrt, hat der Reihe zusätzliche Möglichkeiten eröffnet: Viele Geschichten lassen sich nun ganz anders erzählen, weil Vicky die Einheimischen noch aus ihrer Kindheit kennt.
Darüber hinaus lassen sich ganz andere Geschichten erzählen. Im Unterschied zu den Filmen mit der Vorgängerin können die Autorinnen nun auch familiäre Bezüge einflechten, die über die Hauptfigur und ihre Tochter hinausgehen: Vicky gerät regelmäßig mit ihrer Mutter Heidelinde (Corinna Kirchhoff) aneinander, die die örtliche Apotheke führt.
Die Familie hat auch in den drei bisherigen Episoden mit Ginkel bereits eine erhebliche Rolle gespielt, aber diesmal ist die obligate medizinische Herausforderung mit einem Aspekt verbunden, der sämtliche Ebenen beeinflusst: Vickys vierzehnjährige Tochter Kim (Carlotta von Falkenhayn) soll für die Schule einen Stammbaum erstellen und versucht, Kontakt mit ihrem bloß "Erzeuger" genannten Vater aufzunehmen; Ronny war für Vicky nicht mehr als eine flüchtige Bekanntschaft und wollte mit seiner Tochter nie etwas zu tun haben.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Kims Klassenkameradin Maria Wachler (Lili Jellinek) leidet dagegen unter der Trennung von ihrem Vater. Geschickt nutzt Freya Stewart in ihrem ersten Drehbuch für die Reihe die Hausaufgabe der Mädchen, um den emotionalen Aspekt des Films mit der üblichen Fachfrage zu verknüpfen: Bernd Wachler (Christoph Bach) zeigt lebensbedrohliche Symptome einer Lungenkrankheit, obwohl seine Lunge weitgehend in Ordnung ist. Mindestens so interessant wie die rätselhafte Erkrankung ist seine Biografie: Der Mann hat sich vor einigen Jahren unternehmerisch völlig überschätzt und eine krachende Pleite erlebt; kurz drauf hatte er, womöglich nicht ganz unfreiwillig, einen schweren Autounfall, der ihn endgültig aus der Bahn geworfen hat.
Seither lebt er völlig zurückgezogen als Selbstversorger in einer heruntergekommenen Hütte weit außerhalb des Eifelstädtchens. Eine Krankenversicherung hat er nicht. Weil es sich um einen Notfall handelt, muss ihn das Krankenhaus trotzdem aufnehmen; aber eine Ursachenforschung kommt nicht in frage. Durch das Schulprojekt, in dessen Rahmen die Mädchen Interviews mit ihren Eltern über die Vorfahren führen sollen, kommen sich Vater und Tochter wieder näher. Außerdem erfährt Vicky dank des Gesprächs von Kim mit Großmutter Heidelinde einige unangenehme Wahrheiten über ihren eigenen Vater, der gestorben ist, als sie noch ein kleines Kind war.
Der Wechsel der Hauptdarstellerin hatte auch zur Folge, dass Vickys Arbeitgeber Chris Wegener deutlich stärker ins Zentrum gerückt ist; in den ersten Filmen war Simon Schwarz mitunter beinahe bloß ein Nebendarsteller. Geschickt verknüpft das Drehbuch seine Versehrtheit mit Wachlers Krankengeschichte: Der querschnittgelähmte Rollstuhlfahrer nimmt an einer wissenschaftlichen Studie teil. Mit Hilfe eines Mikrochips in der Wirbelsäule soll er wieder gehen lernen, aber mehrere Rückschläge haben ihn zermürbt; Klinikärztin Harris (Kristin Alia Hunold), die über die Studie promoviert, macht ihm ein Angebot, dass er nicht ablehnen kann.
Inhaltlich könnten die aufgeworfenen Aspekte auch aus einem Mittwochsdrama der ARD stammen, aber die Umsetzung orientiert sich an den üblichen Konventionen der Freitagsfilme. Regie führte wie schon zuletzt bei "Unter Druck" Petra K. Wagner, die zwischendurch allerlei hübsch anzuschauende Schmuckbilder in die Handlung integriert, ihren Schwerpunkt aber in der Arbeit mit dem Ensemble gesehen hat. Die Mitwirkenden sind allesamt sehenswert, auch und gerade die beiden Teenager sind gut geführt. Sollte die trotz ihres jugendlichen Alters schon recht erfahrene Carlotta von Falkenhayn (Jahrgang 2007) der Schauspielerei treu bleiben, wird noch Einiges von ihr zu sehen sein.