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14. September, VOX, 20:15 Uhr
TV-Tipp: "Faking Hitler"
Nicht weniger als der größte Medienknüller der westdeutschen Nachkriegs-Ära, ach was: der deutschen Geschichte sollte es werden. Als sich die Tagebücher Adolf Hitlers jedoch als Fälschung entpuppten, wurde der "stern" zur Lachnummer. Helmut Dietl hat daraus mit "Schtonk!" (1992) einen der besten Filme der Neunzigerjahre gemacht. An diesem Maßstab muss sich die sechsteilige Serie "Faking Hitler" natürlich messen lassen.

Dietl hat die Dinge damals auf die Spitze getrieben, weshalb zum Beispiel der von Götz George als Geck mit Ticks angelegte "stern"-Reporter Gerd Heidemann fast zur Karikatur wurde. Autor und Produzent Tommy Wosch und sein Drehbuchteam (Annika Cizek, Dominik Moser) begnügen sich dagegen knapp vierzig Jahre später mit dem realsatirischen Potenzial der Geschichte. Deshalb verzichten Lars Eidinger (als Heidemann) und Moritz Bleibtreu (als Fälscher Konrad Kujau) auch konsequent auf klamaukige Elemente: Zum Lachen sind nicht die Figuren, sondern die Umstände. 

Der Star-Journalist wird zwar als Großkotz eingeführt, ist im Grunde jedoch ein Getriebener, dessen Ruhm langsam verblasst, weshalb er unbedingt einen Knüller liefern muss. Die zufällige Entdeckung eines Hitler-Tagebuchs ist die perfekte Lösung seines Problems. Während sich der Reporter auch dank Eidingers vielschichtigem Spiel zur beinahe tragischen Figur wandelt, ist Kujau ein Schlitzohr, das Sammler mit NS-Devotionalen versorgt; bis ihm die Geister, die er rief, über den Kopf wachsen.

Anders als bei Dietl gibt es auch eine weibliche Hauptrolle: Die junge "stern"-Redakteurin Elisabeth (Sinje Irslinger) sucht nach Beweisen für die Behauptung, dass "Derrick"-Darsteller Horst Tappert bei der Waffen-SS gewesen sei. In den entsprechenden Unterlagen stößt sie zu ihrem Entsetzen auf den Namen ihres Vaters (Ulrich Tukur), eines hochangesehenen Juraprofessors, dessen Karriere schlagartig zu Ende wäre. Als sie die entsprechenden Unterlagen vernichtet, wird sie beobachtet: Der jüdische Aktivist Leo Gold (Daniel Donskoy) hat der Redaktion die SS-Listen überlassen; Elisabeth soll ihm helfen, die Veröffentlichung der Tagebücher zu verhindern. 

Die Rolle erfüllt gleich drei Funktionen: Elisabeth ist die einzige Figur mit moralischer Integrität. An ihrem Beispiel zeigt sich zudem der Sexismus jener Jahre, weil ein Kollege (Tristan Seith) ständig Witze auf ihre Kosten macht. Selbst in der klar männlich dominierten Redaktionskonferenz fallen entsprechende Sprüche. Damals wurden solche Typen verharmlosend als "Chauvi" bezeichnet; tatsächlich verkörpert der Mann die pure Frauenfeindlichkeit. Die dritte Funktion gilt der Zielgruppe: Natürlich dient die Journalistin als Identifikationsangebot für junge Zuschauerinnen.  

Das ältere Publikum darf sich dagegen vor allem über die Zeitreise freuen. Wer heute um die sechzig ist, hat die frühen Achtziger als Zeit des Aufbruchs und den Beginn eines Spaßjahrzehnts in Erinnerung. Dieses Lebensgefühl vermittelt "Faking Hitler" (der Titel ist eine Anlehnung an einen gleichnamigen "stern"-Podcast) zu Beginn vor allem durch Hits der Neuen Deutschen Welle. Auch im weiteren Verlauf nimmt die Popmusik deutlich mehr Raum ein als die eigentliche Filmmusik (Helmut Zerlett, Robert Matt), was schade ist, weil der flotte Jazz ausgezeichnet zur Geschichte passt. Im Unterschied zu vielen historischen Produktionen lässt die Inszenierung zudem Kostüm und Szenenbild nie wie ein Ausflug ins Museum wirken; ähnlich wie in amerikanischen Produktionen bewegen sich die Mitwirkenden natürlich und ungezwungen in den aufwändig rekonstruierten Kulissen. 

Interessant ist auch die Auswahl der beiden Regisseure. Wolfgang Groos ("Pastewka") hat zuletzt fürs ZDF die Serie "Mein Freund, das Ekel" inszeniert, Tobi Baumann hat einst mit "Ladykracher" sein Gesellenstück gemacht und später mit Produktionen wie "Zwei Weihnachtsmänner" oder "Add a Friend" (Grimme-Preis) seine Meisterstücke folgen lassen. "Faking Hitler" ist von Comedy allerdings weit entfernt. Die Inszenierung steht einzig und allein im Dienst der Geschichte und des wunderbaren Ensembles, aus dem dringend noch Hans-Jochen Wagner als Ressortchef zu nennen ist. Trotzdem gibt es einige bemerkenswerte Szenen, etwa den spektakulären Auftakt, als sich Heidemanns Auto überschlägt, die Kamera jedoch stur beim Fahrer bleibt.

Momente wie diese dienen ähnlich wie die gelegentliche Erotik in erster Linie als Augenfutter, lenken aber nicht vom Kern der Serie ab. Der besteht für Wosch ausdrücklich in den aktuellen Bezügen der Handlung: "Fake News", Wettlauf der Medien um Aufmerksamkeit und Verharmlosung des Nationalsozialismus bewegen sich heute in ganz anderen Dimensionen als vor vierzig Jahren, selbst wenn die Achtziger als Dekade des Scheckheftjournalismus’ auch in dieser Hinsicht Maßstäbe setzten, weil sich zahlungskräftige Magazine wie "stern" und "Bunte" einen Wettbewerb um Exklusivinterviews lieferten. Die Serie ist übrigens in enger Zusammenarbeit mit dem Magazin entstanden; der Bertelsmann-Konzern, zu dem sowohl RTL (dort wird die Serie voraussichtlich im Januar zu sehen sein) wie auch die Produktionsfirma UFA gehören, beweist mit "Faking Hitler" nicht nur Größe, sondern auch Mut zur Selbstironie. Vox zeigt die sechs Folgen heute und am kommenden Mittwoch.

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