Bischöfin Petra Bosse-Huber in Karlsruhe auf dem Podium beim ÖRK
© epd-bild/Thomas Lohnes
Bischöfin Petra Bosse-Huber zieht im Interview eine Zwischenbilanz zur Rolle des ÖRK und die Bedeutung für die Evangelische Kirche in Deutschland.
Halbzeit beim Ökumene-Gipfel
Auslandsbischöfin Petra Bosse-Huber zieht Bilanz
Am 31. August ist die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Karlsruhe gestartet. Noch bis 8. September tagt der Weltkirchenrat in Deutschland. Petra Bosse-Huber, Auslandsbischöfin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), zieht im Interview mit der Evangelischen Mission Weltweit (EMW) eine erste Zwischenbilanz.

Die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) findet zum ersten Mal in Deutschland statt, was bedeutet das für Sie?

Petra Bosse-Huber: Das ist etwas sehr Besonderes. Europa war zwar Gründungsort 1948 in Amsterdam und es gab eine weitere Vollversammlung im schwedischen Uppsala. Aber danach waren viele andere Kontinente und Länder die Gastgebenden. Wir fühlen uns sehr geehrt, dass in diesem Jahr jetzt die Weltchristenheit in Karlsruhe zu Gast ist. Südwestdeutschland ist eine besondere Gegend, in der man über Versöhnung und Krieg und Feindschaft auch in einer besonderen Weise nachdenken kann. Hier, wo Frankreich, die Schweiz und Deutschland aufeinandertreffen, wo es zwischen Deutschland und Frankreich eine jahrhundertelange Feindschaft bis aufs Blut gegeben hat, genau dieser Ort ist auch zur Keimzelle für eine europäische Idee geworden, die aktuell wieder einmal auf dem Prüfstand steht. Das ist schon toll, dass wir uns gerade hier treffen.

Welche Rolle spielt der ÖRK für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD)?

Petra Bosse-Huber: Also, ich sage es vielleicht einmal historisch. Es gäbe uns als EKD in dieser Form überhaupt nicht, wenn nicht der ÖRK nach dem Zweiten Weltkrieg seine Tore geöffnet und gesagt hätte: Willkommen, ihr seid zwar die Kirchen von Nazideutschland, ihr seid die Kirchen, dessen Land unglaubliche Verbrechen über die Welt gebracht hat, und von zwei Weltkriegen, aber wir glauben, dass die Kraft der Versöhnung und der Geschwisterlichkeit größer ist als all die Wunden, die da gerissen worden sind. Ohne diese großherzige Einladung, wieder ein Teil der Weltgemeinschaft zu werden, gäbe es die EKD in der heutigen Form nicht. Und es war nicht nur eine Einladung an die Kirchen, es war ebenso eine Einladung an politisch und gesellschaftlich Verantwortliche, die das auch genauso gehört haben. Ich denke, da stehen wir in einer großen Verantwortung, uns jetzt auch zu fragen, an welchen Stellen wir nun gefragt sind. Gerade da, wo es kompliziert ist und vielleicht auch schwierig wird und uns teuer zu stehen kommt, sollten wir mit dafür sorgen, dass dieses Netz des Ökumenischen Rates der Kirchen hält, weil es mehr kann als alle anderen sozialen oder politischen Netze, die ich kenne.

"Es gäbe uns als EKD in dieser Form überhaupt nicht, wenn nicht der ÖRK nach dem Zweiten Weltkrieg seine Tore geöffnet hätte."

Was sind Ihre Hoffnungen für diese Vollversammlung?

Petra Bosse-Huber: Zunächst ist es für mich ein Wunder, dass wir überhaupt zusammen sind. Wir haben jetzt jahrelang darauf hingearbeitet und sind immer wieder ausgebremst worden, besonders durch die Pandemie, so dass wir die Vollversammlung um ein Jahr verschieben mussten. Jetzt gehe ich hier durch die Räume und durch die Säle und schaue mir das alles an und denke: Ja, sie sind wirklich da. Wir feiern hier wirklich Vollversammlung miteinander. Und das ist eine große Ermunterung für alle, die da sind. Ich bekomme auch viele Reaktionen, dass Menschen so froh sind, aufeinander zu treffen, miteinander zu reden, ihren Glauben und die wunderbaren Gottesdienste und Gebetszeiten gemeinsam zu feiern. Das ist so ein einzigartiges Erlebnis.

Und natürlich stehen auch wichtige Themen an, über die wir gemeinsam beraten und auch miteinander um Antworten ringen müssen, vom Klimawandel über die Frage des Friedens und des Krieges in der Ukraine und an vielen anderen Orten in der Welt. Die Frage nach Rassismus, nach einem gerechten Miteinander von Männern und Frauen, die Frage von Missbrauch, von Ausbeutung – zu all diesen brennenden Fragen gibt es unterschiedliche Positionen und auch Streit innerhalb des Weltkirchenrates. Aber der Streit kann auch ausgetragen werden, weil wir unser gemeinsames Fundament im Glauben haben. Und meine größte Hoffnung ist, dass wir gestärkt von dieser Vollversammlung zurückkehren und erlebt haben, dass der Geist Gottes Menschen zusammenhält, die aus so unterschiedlichen Kulturen kommen und die auch sehr verschiedene Interessen haben.

Was waren für Sie Höhepunkte in den ersten Tagen?

Petra Bosse-Huber: Ich hänge unglaublich an diesem schönen Gottesdienst-Zelt auf dem Vollversammlungsgelände. Das ist für mich eine Oase, wo wir uns mit Gesang und Gebet gegenseitig begegnen. Da trifft zum Beispiel orthodoxe Liturgie auf lateinamerikanische Rhythmen und daraus entsteht ein Gesamtkunstwerk. Das freut mich von Herzen. Es ist einfach schön zu sehen, wie die Leute dorthin strömen. Das ist tatsächlich so etwas wie ein Brunnen, an dem man sich stärken und erfrischen kann.

Aber auch das Plenum am Freitag zur Frage der Ukraine war ein besonderer Moment für mich. Die jungen Menschen, die da geredet und von ihren Erfahrungen erzählt haben, das hat mich sehr bewegt. Einen von ihnen kenne ich persönlich. Wir sind uns in Bossey am Ökumenischen Institut begegnet. Das war noch in Friedenszeiten. Jetzt zu hören, wie er erzählt, was in seinem Heimatland gerade los ist, das geht mir sehr zu Herzen. Da bin ich sicher nicht die Einzige. In solchen Momenten drängt sich natürlich auch die Frage auf: Wie können wir uns gemeinsam auf den Weg machen für Frieden und für Gerechtigkeit?

Diese Mischung aus der gemeinsamen Suche nach Antworten und der Begegnung miteinander macht für mich die Vollversammlung aus.

Das Interview führten Christiane Ehrengruber und Corinna Waltz für die Evangelische Mission Weltweit (EMW). evangelisch.de dankt der EMW für die Kooperation.