Bianka Frisch schüttelt ein Kissen aus und streicht sorgfältig die Bettdecke glatt. "Mir macht die Arbeit super viel Spaß", sagt die junge Frau, während sie das Zimmer im Bethel Hotel zum Weinberg im rheinland-pfälzischen Bad Neuenahr-Ahrweiler aufräumt. "Ich komme wirklich gerne zur Arbeit." Gut gelaunt und lachend bringt die 30-Jährige das in sanften Grün- und Beigetönen gestrichene Hotelzimmer auf Hochglanz - eigentlich eine Arbeitnehmerin, wie sie sich das von Arbeitskräftemangel gebeutelte Gastgewerbe nur wünschen könnte.
Dennoch wollte kein Betrieb die gelernte Hauswirtschaftshelferin auf Dauer einstellen, bevor sie im Hotel zum Weinberg erstmals einen unbefristeten Job fand. Denn die junge Frau hat eine Halbseitenlähmung. Immer wieder sei sie arbeitslos gewesen, weil sie durch ihre Behinderung langsamer arbeitete als es die Arbeitgeber verlangten, berichtet sie. "Das nagt dann auch an der Psyche."
So wie Bianka Frisch ergeht es vielen Menschen mit Behinderung. Die Pandemie hat die Arbeitssuche noch erschwert. Während die Arbeitslosigkeit unter gesunden Arbeitnehmern nach Ende des zweiten Lockdown im vergangenen Jahr deutlich zurückging, stieg sie bei Menschen mit Schwerbehinderung an. Im Jahresdurchschnitt waren laut Bundesagentur für Arbeit 172.000 Menschen mit Handicap arbeitslos, 3.000 mehr als im Vorjahr.
Dabei gebe es für Menschen mit Handicap durchaus Jobs in Branchen wie der Hotellerie, in denen händeringend Personal gesucht werde, erklärt Franz-Josef Pelzer, Inklusionsbegleiter im Hotel zum Weinberg. "Bei uns übernehmen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Behinderung Aufgaben, die andere auch haben." Sechs der Beschäftigten mit psychischen oder körperlichen Einschränkungen arbeiten so wie Bianka Frisch im Housekeeping. Zwei sind an der Rezeption und einer im Service tätig.
"Keiner wird in Watte gepackt"
Inklusionshotels, in denen Menschen mit und ohne Behinderung zusammenarbeiten, gibt es mittlerweile bundesweit. Rund 40 von ihnen - die meisten in der Trägerschaft von Wohlfahrtsverbänden - sind im Embrace-Verband zusammengeschlossen. Entgegen vieler Vorurteile sei es durchaus möglich, Menschen mit Handicap in einen normalen Arbeitsalltag zu integrieren, sagt Pelzer. Allerdings brauche es die Bereitschaft, Lösungen zu finden.
Ein gehbehinderter Mitarbeiter könne etwa mit Hilfe eines speziellen Rollstuhls und einer Tablett-Vorrichtung im Service arbeiten. Spezielle Hilfsmittel werden bis zu 100 Prozent vom Inklusionsamt bezahlt. Auch gibt es Lohnkostenzuschüsse für Beschäftigte mit Handicap, die je nach Bundesland unterschiedlich hoch ausfallen. In Rheinland-Pfalz sind es 30 Prozent. Im Hotel zum Weinberg würden die Zeitvorgaben den Einschränkungen der Beschäftigten angepasst, erklärt Pelzer. "Dennoch wird hier keiner in Watte gepackt." Die Leistung müsse stimmen. Das Haus müsse schließlich auf Dauer kostendeckend arbeiten.
Gutes Betriebsklima "ist heilig"
Allerdings muss das von der Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel für knapp acht Millionen Euro erbaute Hotel keinen Gewinn erwirtschaften. Ein Unterschied zu herkömmlichen Hotels sind auch die komplette Barrierefreiheit sowie spezielle Zimmer für Gäste mit Handicaps wie etwa Hörgeschädigte oder Sehbehinderte.
Und in dem im Februar eröffneten Hotel zum Weinberg wird überdurchschnittlich viel Wert auf ein gutes Betriebsklima gelegt. "Das ist uns heilig", sagt Pelzer. Die psychosoziale Begleitung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sei wichtiger Teil seines Jobs. Davon profitierten aber nicht nur die Beschäftigten mit Handicap, sondern die gesamte Belegschaft, betont Pelzer. "Hier gibt es bei Schwierigkeiten immer ein offenes Ohr", bestätigt Bürokaufmann Daniel Ibs (rpt. Ibs), der im Rollstuhl an der extra niedrigen Rezeption arbeitet. "Deshalb haben wir ein rundum super Klima. Dieser Job hier ist für mich ein Traum."
Auch bei den Gästen kommt das Inklusionshotel offenbar gut an. Es gebe bereits jetzt schon Stammgäste, und Firmen hätten längerfristig Zimmerkontingente für ihre Monteure gebucht, sagt Geschäftsführerin Heike Pelzer. Dabei waren die Umstände, unter denen das in Bahnhofsnähe gelegene Hotel an den Start ging, nicht ideal. In die Bauzeit des Hauses mit 72 Zimmern fiel sowohl die Pandemie als auch die Hochwasser-Katastrophe an der Ahr. Jetzt läuft der Betrieb schon so gut, dass die Hotelchefin noch mehr Personal einstellen möchte.
Für Bianka Frisch ist mit ihrer ersten unbefristeten Anstellung ein großer Wunsch in Erfüllung gegangen. "Jetzt kann ich endlich das in die Wege leiten, was ich schon immer geplant habe", freut sie sich. "Ich suche mir meine erste eigene Wohnung."