epd: Energiekrise und Gasmangel fordern derzeit Bund und Länder heraus. Welche Energiesparmaßnahmen sind in der sächsischen Landeskirche geplant?
Tobias Bilz: Im Moment wissen wir noch nicht sicher, wie sich die wirtschaftliche Situation genau entwickeln wird. Es gibt aber viel Angst und Unsicherheit. Die Landeskirche beschäftigt sich natürlich mit dem Thema. Es wird einen Schub hin zum Energiesparen geben müssen. Zugleich gilt es, alternative Wege zu beschreiten. Wir werden den Kirchgemeinden auch Empfehlungen geben. Vorschreiben kann und will die Landeskirche nichts, die Gemeinden sind eigenverantwortlich tätig.
Gibt es denn schon konkrete Pläne aus den Kirchgemeinden?
Bilz: Dazu fehlen mir im Moment die Rückmeldungen. Aber ich rechne damit, dass man unter anderem schaut, auf welchen Gebäuden zum Beispiel Solaranlagen installiert werden können und welche Alternativen noch zu bedenken sind. Bisher sind Solaranlagen auf Kirchendächern selten.
Müssen sich Gemeinden nicht auch fragen, ob sie im Winter Gottesdienste mit eher wenigen Menschen in eher großen geheizten Kirchen abhalten?
Bilz: Sicher, es geht um Temperaturen und es geht darum, welche Räume wie genutzt werden. Das ist ganz klar. Eine Möglichkeit könnte sein, dass im Winter die Gemeinden einer Region eine Kirche für den Gottesdienst nutzen, und zwar eine, die gut und energetisch sinnvoll beheizbar ist. Ich denke auch daran, dass viele Generationen dick verpackt in ungeheizten Kirchen Gottesdienste gefeiert haben.
Sie sind Mitglied im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Sind Energiesparmaßnahmen auch ein Thema, das auf EKD-Ebene diskutiert wird?
Bilz: Es ist nicht üblich, dass die EKD von Hannover aus den Landeskirchen sagt, wie Energie gespart werden soll. Aber das Thema wird natürlich auf dieser Ebene diskutiert. Ich erwarte Unterstützung und Denkanstöße.
Immer mehr Menschen kehren der Kirche den Rücken. Weniger als die Hälfte der deutschen Bevölkerung gehört einer der großen Kirchen an. Wie muss sich Kirche aufstellen, um in einer säkularen Gesellschaft zukunftsfähig zu bleiben?
Bilz: Die Kirchen in Ostdeutschland leben schon längst in einer Minderheitensituation. In Sachsen gehören zum Beispiel nur 18 Prozent der Bevölkerung der evangelisch-lutherischen Landeskirche an. Aber: In einem Minderheitenstatus zu sein, fühlt sich nicht so falsch an. Ich möchte schon gern, dass wir uns an den Menschen orientieren, die keine Christen sind und sie für den Glauben gewinnen. Aber ich sage mir auch: Wenn diese Menschen das Gefühl haben, wir brauchen sie für die Kirche, damit wir den Minderheitenstatus bekämpfen oder gar unser eigenes Überleben sichern wollen, dann läuft da etwas schief.
Sie plädieren also dafür, nicht zu sehr auf die Zahlen zu schauen und etwas gelassener zu sein?
"Mich erschüttert nicht, dass wir eine Minderheit sind. Die Mehrheit ist doch noch kein Qualitätsmerkmal."
Bilz: Mich erschüttert nicht, dass wir eine Minderheit sind. Die Mehrheit ist doch noch kein Qualitätsmerkmal. Sie bestimmt auch nicht, was wahr ist und was nicht wahr ist. Die Mehrheit kann irren. Wir sind selbstbewusste, fröhliche Christen und wir gehen davon aus, dass das den Menschen guttut. Wenn ich immer auf die Zahlen schiele und zugleich anderen sage, wie sie sein sollen, wird das nichts. Wir brauchen neue Klarheit darüber, wofür wir stehen. Dazu gehört auch, dass wir Menschen frei entscheiden lassen, sich dazu zu positionieren.
Was wünschen Sie sich denn für die sächsische Landeskirche?
Bilz: Ich wünsche mir für unsere Kirche, dass wir mit einem gewissen Selbstbewusstsein das tun, was wir als richtig erkannt haben und dass wir uns da auch nicht erschüttern lassen, wenn die Zahlen nicht oder nicht gleich stimmen.
"Wir müssen viel konsequenter fragen: Wofür werden wir gebraucht?"
Wir müssen viel konsequenter fragen: Wofür werden wir gebraucht? Viele Bereiche wie Bildung, Seelsorge, Rituale oder Sozialarbeit werden längst auch außerkirchlich praktiziert. Die Gesellschaft tut dies unabhängig von der Kirche. Wenn das so ist, steht die Landeskirche vor der Frage: Was macht uns als Kirche dem Wesen nach aus? Was ist typisch für uns?
Und was ist Ihrer Meinung nach dabei das Wichtigste?
Bilz: Ich würde sagen, das ist die Frage nach dem Sinn des Lebens. Wo komme ich her und wohin gehe ich? Das Leben mit Gott in Verbindung zu bringen, das ist eine der wichtigen Aufgaben der Kirche. Zugleich: Immer dort, wo sich im Zusammenleben der Menschen Schwierigkeiten auftun, ist die Kirche herausgefordert, aktiv zu werden. Dafür müssen wir klären, wer wir sind und was wir wollen und auch was wir in die Gesellschaft einbringen können - ganz abgelöst von der Mitgliederfrage und den Zahlen. Dafür braucht es mehr Gottvertrauen.
Welche Defizite sehen Sie?
"Der Gottesdienst ist für eine größere Gruppe von Menschen gedacht, die er aber oft nicht hat."
Bilz: Die eigentliche Herausforderung ist doch, dass wir mit dem, was uns wichtig ist, auch bei den Menschen und ihren Fragen sind. Als Kirche sind wir oft zu sehr mit uns selbst beschäftigt. Ich wünsche mir eine Öffnung unserer Kirche. Der Gottesdienst ist für eine größere Gruppe von Menschen gedacht, die er aber oft nicht hat. Was schließen wir daraus? Wir müssen wieder ein Gemeinschaftsgefühl entwickeln, das verschiedene Formate kennt und offen für Neues und neue Mitglieder ist.
Die Frage ist dann aber doch, was ist zu tun, um größer zu werden - welche Ideen gibt es?
Bilz: Wir sollten Veranstaltungsformate entwickeln, die offener sind als das geschlossene, vereinsorientierte Kirchenwesen und die sich an eine größere Gruppe von Menschen richten. Das muss nicht gleich zu einer regelmäßigen Veranstaltung werden. Ein Stadtfest-Gottesdienst wie der an diesem Wochenende auf dem Dresdner Theaterplatz ist dafür ein Beispiel. Da begrenzen wir uns nicht auf unsere kirchlichen Räume, sondern wir begeben uns mit dem, was uns wichtig ist, in die Öffentlichkeit. Wir verlassen unseren angestammten Raum.
Was ist denn wichtig für den Start nach Corona?
Bilz: Nach diesem erzwungenen "Stopp" sollte neu gefragt werden, wofür wir unsere Zeit und Kraft einsetzen wollen. Bevor man also nach Corona wieder durchstartet, könnte erst einmal ein Check gemacht werden: Was von dem, was wir tun, lebt dynamisch und was wird vielleicht auch nicht mehr gebraucht? Es sollte nicht sein, dass einzelne Aktivitäten nur aus Tradition weitergeführt werden. Vielleicht können wir Dinge weglassen oder zumindest anders denken und dabei Kräfte freisetzen für Neues. Ich habe eine Traummarke, dass 20 Prozent der Zeit, der Kraft und des Geldes für Neues und alternative Dinge eingesetzt wird. Das halte ich für absolut sinnvoll.
Was könnte aus Ihrer Sicht weggelassen werden?
Bilz: Ich möchte nicht für andere entscheiden, was sie noch machen und was sie aufgeben sollen. Den Gemeinden in der Region rate ich aber, einen Gemeindeentwicklungsprozess voranzubringen und dabei zu fragen: Was ist uns wichtig? Wo wollen wir investieren?
Ergibt sich das nicht zwangsläufig aus der laufenden Strukturreform, bei der Kirchgemeinden zusammengehen und Kräfte bündeln müssen?
Bilz: Ja, viele Gemeinden machen das und stellen sich diesen Fragen. Aber es muss ein bewusster Prozess werden und nicht eher zufällig passieren.
Können denn westdeutsche Kirchen von den ostdeutschen Kirchen lernen?
Bilz: Wenn wir lernen, ist es ein wechselseitiger Prozess. Im Osten können wir lernen, wie die Kirche sich selbstverständlich in der Gesellschaft bewegt, einbringt und beteiligt. Das DDR-Erbe klingt bei uns noch immer nach, dort wurde der Kirche eine gesellschaftliche Position versagt. Von daher fehlt es manchmal noch immer an selbstverständlicher Präsenz im öffentlichen Raum. Westliche Kirchen können bei uns dagegen sehen, wie man auch in einer Außenseiterrolle selbstbewusst und fröhlich Christsein kann.