Ob Zugunglück, G7-Gipfel, Verkehrsunfall oder Todesnachricht - wann immer Menschen in der Touristenregion Garmisch-Partenkirchen seelische Hilfe brauchen, sind die Helfer des Kriseninterventionsdienstes (KID) zur Stelle.
Seit 1999 arbeitet der Verein mit Rettungskräften zusammen und kümmert sich um Unfallopfer, Angehörige, aber auch um die Retter selbst. Gegründet wurde der "Arbeitskreis Kriseninterventionsdienst Garmisch-Partenkirchen e.V." vom damaligen evangelischen Ortspfarrer Stefan Blumtritt, der heute als Oberkirchenrat für Gesellschaftsbezogene Dienste zuständig ist.
Blumtritt war selbst jahrelang ehrenamtlich im Rettungsdienst tätig und später auch Vorstandsmitglied der Ortsgruppe des Roten Kreuzes. Dabei habe er bemerkt, dass Rettungskräfte mit niemandem über belastende Einsätze sprechen konnten, berichtet der Theologe.
Auch nach dem Tod eines Angehörigen hätten die Menschen in der Akut-Situation keinen Ansprechpartner gehabt, der sich kümmert oder einfach nur zuhört. Also rief der Pfarrer 1999 den Kriseninterventions-Verein mit ins Leben, der seither beim Diakonischen Werk Bayern angesiedelt ist.
Rettungskräfte müssen weiter - die Helfer bleiben
Grundsätzlich sei im Verein jeder Interessierte willkommen, sagt die heutige Vereinsvorsitzende Anna Maria Laber. Sie selbst arbeite in einer Apotheke, es gebe aber auch Finanzmakler oder Lehrkräfte im KID. Gemeinsam ist ihnen allen eine fundierte Ausbildung gemäß den Standards der akuten psychosozialen Notfallversorgung - Pflichtstoff für alle Kriseninterventionsteams in Deutschland. "Egal, ob ein Krisenhelfer der Bergwacht, des Roten Kreuzes oder ein kirchlicher Notfallseelsorger vor einem steht - sie sind alle gleich gut geschult", betont Laber.
Klassische Einsätze für den KID seien Todesfälle im häuslichen Umfeld, aber auch Suizide, Verkehrs-, Sport- oder Arbeitsunfälle. Gerufen werden die ehrenamtlichen Krisenhelfer, wenn die Rettungskräfte vor Ort den Eindruck haben, dass Angehörige betreut werden müssen. "Wir schließen da eine Lücke", sagt Laber. Denn die Rettungskräfte müssten weiter zum nächsten Einsatz. "Wir sorgen dann dafür, dass die Angehörigen mit ihrem Schicksal nicht allein sind und helfen ganz praktisch." Zum Beispiel, indem sie zuhören oder helfen, weitere Angehörige zu informieren.
Distanz zu wahren fällt nicht immer leicht
Um die drei Stunden dauerten die Einsätze der Krisenhelfer, erzählt Laber. Und die könnten auch für sie selbst belastend sein, etwa wenn es um verstorbene Kinder gehe. "Das nimmt mich als Mutter natürlich sehr mit." Ganz wichtig sei es, die Distanz zum Geschehen zu behalten. Deshalb suche sie das Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen und spreche auch regelmäßig mit einem Notfallseelsorger ihres Vertrauens: "Der fängt mich immer wieder ein."
Auch das Zugunglück von Burgrain vom 3. Juni mit fünf Toten und rund 70 Verletzten, wo sie Einsatzleiterin für die psychosoziale Notfallversorgung war, habe bei den zwölf KID-Helfern Spuren hinterlassen. "Anfangs haben wir uns um die unverletzten Betroffenen und um die Leichtverletzten gekümmert", erzählt die 59-Jährige. "Später vor allem um die hinterbliebenen Familienangehörigen." Nach dem Einsatz sei sie völlig erschöpft gewesen, gibt Laber zu. "Die Bilder haben mich schon mitgenommen."
Kooperation mit der Polizei
Bei den professionellen Rettern und Ermittlern sind Kriseninterventionsdienste als wichtiger Partner akzeptiert. Michael Weinzierl arbeitet in der Zentralstelle der Polizeilichen Betreuungsgruppe (PBG) im Landeskriminalamt in München und leitet dort die AG "Opfer- und Angehörigenbetreuung". Er sagt: "Die eigentliche Aufgabe der Polizei ist nun mal die Ermittlungsarbeit." Doch darüber hinaus sei auch seelische Begleitung nötig - deshalb wurde Ende 2020 eigens für die Polizei in Bayern die PGB eingerichtet, die unter anderem auch die regionalen Kriseninterventionsdienste unterstützt.
Gerade bei großen Schadensereignissen wie dem Zugunglück in Burgrain ist nun neben dem Ermittler auch immer ein PBG-Mitarbeiter und jemand vom KID für die Betroffenen da. Denn die Angehörigen müssten die Todesnachricht verkraften.
"Irgendwann kommen Fragen hoch: Warum wird der Leichnam noch nicht freigegeben, warum muss ich eine DNA-Probe abgeben, warum muss ich die Leiche identifizieren", erklärt Weinzierl. Es brauche Zeit, all das zu erklären.
Vielfältige Aufgaben
Auch beim G7-Gipfel nur wenige Tage nach dem Zugunglück habe der KID Garmisch-Partenkirchen eng mit der Polizei zusammengearbeitet. Dies sei aber eine rein organisatorische Aufgabe gewesen, man habe sich auf alle Eventualitäten vorbereitet, erklärt Anna Maria Laber.
Zum Glück sei wie schon beim ersten Gipfel 2015 alles ruhig geblieben. "Aber natürlich hatte ich anfangs die Bilder vom G20-Gipfel in Hamburg oder vom G8-Gipfel in Heiligendamm vor Augen", sagt Laber - dort war es zu schweren Ausschreitungen gekommen. Die Aufgaben des KID sind also vielfältig. Anna-Maria Laber bringt es auf den Punkt: "Wir sind zwar nur ein ganz kleines Glied in der Rettungskette, aber wichtig für die Betroffenen."