Wenn ein Film in Venedig spielt, muss die Stadt natürlich auch den Titel prägen, am besten in Kombination mit einem Schlüsselbegriff, der auf Anhieb das Genre kenntlich macht. "Tod in Venedig" gibt es jedoch bereits, also heißt dieser Krimi "Der Tod kommt nach Venedig" - was der Originalität des Stoffs nicht im Mindesten gerecht wird und zudem an die Redensart von den nach Athen getragenen Eulen erinnert.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Der Tod ist längst da; schon Luchino Visconti hat der Lagunenstadt in seiner Thomas-Mann-Verfilmung "Tod in Venedig" (1971) beim Sterben zugesehen. Regisseur Johannes Grieser und sein Kameramann Enzo Brandner zeigen die "Serenissima" jedoch von ihren schönen Seiten: Bereits die Nachtaufnahmen des Prologs bieten beste Ansichtskartenmotive.
Das Fernweh wird allerdings umgehend durch Thriller-Musik vertrieben: Ein Mann hetzt durch die Gassen, stürzt schließlich in einen Kanal und wird von einem Wassertaxi überfahren. Zwei Männer nehmen seinen Tod zur Kenntnis. Einer der beiden trägt Schuhe mit einem auffallend bunten Muster, die sehr viel später selbstredend noch mal auftauchen werden.
Der Auftakt ist fesselnd, aber letztlich bloß ein Köder, denn Grieser und Stefan Wild, dessen Drehbuch auf einer Vorlage von Kai-Uwe Hasenheit und Till Endemann basiert, erzählen eine Geschichte, in der ein Gemälde zum Motor der Handlung wird (der Arbeitstitel des Films lautete "Die Farben von Liebe und Tod"): In Wien wird Physiotherapeutin Anna (Alwara Höfels) telefonisch über den Tod ihres Mannes informiert. Sie reist mit ihrem Sohn Paul (Filip Wyzinski) nach Venedig, um die Formalitäten zu klären, und gerät in ein Kreuzfeuer: Lukas war Restaurator und hat zuletzt im Auftrag eines venezianischen Museums an einem Botticelli-Gemälde gearbeitet.
Außerdem war er ein begnadeter Kopist. Nun ist das Original verschwunden und durch eine Fälschung ersetzt worden. Die Polizei ist überzeugt, dass die Witwe weiß, wo ihr Mann das Kunstwerk versteckt hat. Außerdem sind Leute hinter ihr her, die offenkundig bereit sind, über Leichen zu gehen, um in den Besitz des Bildes zu gelangen.
Wer ein bisschen Krimi-Erfahrung hat, ahnt allzu früh, wem die bunten Schuhe gehören, aber das stört nicht weiter, dafür ist die Geschichte viel zu abwechslungsreich. Der Film beeindruckt nicht zuletzt durch seine gelungene Kombination unterschiedlichster Emotionen: Anna macht sich Vorwürfe, weil sie in letzter Zeit häufig mit Lukas über die Brotlosigkeit seiner Kunst gestritten hat; auch noch kurz vor seinem Ableben.
Der elfjährige Paul gibt ihr ohnehin die Schuld am Tod des Vaters. Dass der Junge Autist ist, macht die Sache nicht einfacher, bestärkt Anna aber in ihrer Absicht, die Hintergründe aufzuklären; aus Sicht der einheimischen Behörden handelt es sich bloß um einen tragischen Unglücksfall.
Als Lukas’ Auftraggeberin ermordet wird, weiß Anna, dass auch ihr Leben in Gefahr ist; und das von Paul. Einziger Lichtblick ist Lukas’ bester Freund, Rafael (Christopher Schärf), der in Venedig eine Galerie betreibt und sich rührend um Mutter und Sohn kümmert. Um der Wahrheit auf die Spur zu kommen, muss Anna dem undurchsichtigen Polizisten Gabato (Leonardo Nigro) aus der Abteilung Schutz von Kunst und Kulturgütern vertrauen. Gemeinsam fragen sie sich, wie es Lukas gelungen sein könnte, das Bild aus dem perfekt überwachten Museum herauszuschmuggeln.
Die Antwort ist ebenso verblüffend wie einfach. "Es geht immer um Details", belehrt die Witwe den zunächst für den Fall zuständigen Beamten (Rudy Ruggiero), und das gilt auch für das Drehbuch, das Till Endemann nicht umsetzen konnte, weil ihm ein wegen Corona aufgeschobenes Projekt dazwischen kam: Botticellis "Porträt einer Dame" ist ebenso authentisch wie das Max-Ernst-Gemälde "Festmahl der Götter", das gleichfalls eine wichtige Rolle spielt.
Es ziert eine Karte, die einige Tage nach Lukas’ Ableben in Wien eintrifft und einen raffiniert verschlüsselten Hinweis auf das Versteck des Originals enthält. Für eine sorgfältige Recherche sprechen auch die Szenen, in denen es um die Restauration von Renaissance-Werken geht; wer hätte gedacht, dass dabei nicht bloß ganz bestimmte Hühnereier, sondern auch Kondome zum Einsatz kommen. Die Museumsszenen sind ebenfalls "echt", sie sind unter anderem im Wiener "mumok" (Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien) entstanden. Dass Venedig angemessen zur Geltung kommt, versteht sich ohnehin von selbst, und manch’ ein Brunetti-Fan wird noch mal bedauern, dass die ARD die Reihe "Donna Leon" eingestellt hat.