Heiko Kunert am Schreibtisch ließt mit den Fingern die Brailleschrift
© Stefanie Loos fu?r #Republica
Heiko Kunert gibt Tipps, wie barrierefreies Posten gelingt.
Inklusion auf Social Media
So lässt es sich barrierefrei posten
Wie nutzen Menschen mit Behinderung das Smartphone und die Sozialen Medien? evangelisch.de hat Heiko Kunert getroffen. Er ist blind, Teil der Initiative #barrierefreiPosten und erklärt, wie wir alle dazu beitragen können, inklusiv und barrierefrei auf Facebook, Instagram und Co. zu kommunizieren. Die Methoden sind einfach und lassen sich an einer Hand abzählen.

Seit 2009 nutzt Heiko Kunert das Smartphone. Wenn er es einschaltet, sieht er nichts: Keinen aufleuchtenden Handybildschirm, keine bunten Apps, keine Push-Nachrichten. Stattdessen ist alles tiefschwarz – aber nicht nur sein Handy, alles um ihn herum ist dunkel. Heiko ist einer von über 70.000 blinden Menschen in Deutschland. Auf sein Smartphone kann und will der 46-Jährige trotzdem nicht verzichten.

Und das muss er auch nicht: "Auch blinde und sehbehinderte Menschen können selbstverständlich das Smartphone nutzen", sagt er. Kunert schaltet es ein. Der Sperrbildschirm öffnet sich. Eine Computerstimme liest in schneller Geschwindigkeit die Uhrzeit vor. Es hört sich an, als hätte man vorgespult. "Ihr könnt das jetzt vielleicht nicht verstehen, aber ich habe mich mittlerweile daran gewöhnt, so geht es schneller", sagt er. Denn die Sprachassistenz liest alles vor: Die Namen der Apps, die neuen Objekte – eben alles, was normalerweise auf dem Bildschirm zu sehen ist.

Auch in den Sozialen Netzwerken ist Heiko Kunert präsent. Auf Facebook und Instagram scrollt er sich regelmäßig durch die Inhalte. "Aber am meisten bin ich auf Twitter unterwegs, weil es die textlastigste Plattform ist. Das ist für mich sehr angenehm", sagt er. Doch Nutzer:innen können einiges tun, um barrierefrei zu posten und Menschen wie Heiko Kunert im Netz zu inkludieren.

Heiko Kunert zeigt auf der re:publica 2022, wie er sein Smartphone nutzt. Christiane Maß filmt mit.

Wenn er sich nicht gerade in der digitalen Welt bewegt, zeigt Heiko Kunert Menschen, wie das geht. Er ist Geschäftsführer des Blinden - und Sehbehindertenvereins Hamburg. Mit seinen Mitarbeitenden stemmt er ein breites Beratungsangebot – auch Beratungen zu barrierefreiem Posten sind dabei. Außerdem ist Kunert Teil der Initiative #barrierefreiPosten, die im Herbst 2019 gegründet wurde: "Wir wollten unser Wissen bündeln, die wichtigsten Tipps positiv konnotiert herüberbringen. Es soll den Menschen leichtfallen, die ersten Schritte beim barrierefreien Posten zu gehen", sagt Kunert. Über die Website, die Accounts in den Sozialen Netzwerken, bei Workshops und über Vorträge informieren sie über einfache Wege, inklusiv zu posten. 

Fünf Tipps zum barrierefreien Posten: 

1. Verständlich schreiben: Schreibe deine Texte einfach und möglichst leicht. Verwende kurze Sätze mit rund acht bis zehn Worten. Außerdem solltest du schwierige Wörter meiden. Falls du doch mal eines verwendest, erkläre es, oder versuche, ein anderes Wort dafür zu finden. Lange Wörter können durch sogenannte Mediopunkte getrennt werden. Zum Beispiel so: "Medio•punkt". Alternativ kannst du einen Bindestrich zum Trennen verwenden.

Das sind die "Big 5".

2. Hashtags: Beginne jedes Wort in einem Hashtag mit einem Großbuchstaben. Schreibe alle Buchstaben einer Abkürzung groß. Zum Beispiel: #NurDerHSV, #SpiritusBlog oder #FrageDesTages. Falls du eine Hashtag-Sammlung verwendest: Bearbeite sie, sodass du die Hashtags immer gleich korrekt postest. "Dadurch werden Hashtags auch für Blinde und Sehbehinderte verständlich", sagt Heiko Kunert. Ansonsten werde alles am Stück schnell vorgelesen, was zu Verständnisproblemen führen kann.

3. Untertitel: Untertitele deine Videos! Sogenannte "offene Untertitel" werden immer angezeigt, sie sind fest in dein Video eingebrannt. "Geschlossene Untertitel" können von den Nutzenden ein- und aus geschalten werden. Facebook kann beides. Instagram und Twitter können nur "offene Untertitel".

Von Untertiteln haben nicht nur taube und schwerhörige Menschen etwas. So können dein Video mehr Menschen verstehen, auch ohne Ton. Schreib im besten Fall 1:1 Untertitel. Wenn du zu viel Text hast, versuche die Inhalte in jedem Fall sinnvoll niederzuschreiben. Jeder Untertitel sollte aus maximal zwei Zeilen bestehen und etwa sieben Sekunden zu sehen sein.

4. ALT-Texte: Schreibe Alternativtexte. Sie sollten kurz, objektiv und verständlich sein. Text, der im Bild angezeigt wird, solltest du im ALT-Text wiederholen. Personen, die auf den Bildern erkennbar sind, solltest du mit Namen benennen. Der ALT-Text sollte rund 100 Zeichen lang sein. Heiko Kunert sagt: "Jede Bildbeschreibung ist besser als keine Bildbeschreibung!" Gut sei es, wenn man dabei zuerst das Wichtigste beschreibt, das auf dem Bild zu sehen ist." Je genauer, desto besser, aber: "Man sollte nicht alle 1000 Zeichen, die man zum Beispiel auf Twitter dafür zur Verfügung hat, ausnutzen. Bei Sehbehinderten und Blinden ist es wie bei Sehenden: Wenn uns die Bildbeschreibung nicht reizt, scrollen wir weiter!" 

5. Vernetzen: Vernetze deine Social-Media-Kanäle miteinander, damit sie leichter zu finden sind. 

"Ich weiß, dass es Mühe macht, auf die Barrierefreiheit der Posts zu achten", sagt Kunert. Er könne verstehen, dass es in der Hektik des Alltags oft vergessen wird. Gerade am Anfang könne die Umstellung auch als anstrengend wahrgenommen werden. "Ich habe aber auch von Leuten gehört, dass es irgendwann in Fleisch und Blut übergeht und dann gar nicht mehr als größerer Aufwand wahrgenommen wird. Im Gegenteil: Es hilft einigen Menschen sogar, darüber nachzudenken, was sie posten und warum sie dies tun. Es bietet einen Moment der Reflexion."

Barrierefreiheit auf Social Media: die Vergangenheit 

Bereits 2007 eröffnete Heiko Kunert seine ersten Accounts in den Sozialen Netzwerken: "Damals gab es auf Twitter und Facebook nur Textbeiträge. Heute sind die Plattformen sehr viel Bildlastiger." Allerdings waren die Plattformen zu dieser Zeit auch noch lange nicht so barrierefrei, wie sie es heute sind. Lange gab es keine Möglichkeit, Alternativ-Texte für Bilder einzufügen, erzählt Kunert, obwohl das für Websites bereits Standard war. "Als es dann endlich die Möglichkeit gab, ALT-Texte einzufügen, wurde nicht explizit darauf hingewiesen. Niemand wusste davon." Er resümiert: "Die Plattformen haben sich kontinuierlich weiterentwickelt. Die Bedienung der Seiten hat sich seitdem sehr verbessert."

Barrierefreiheit auf Social Media: der Ist-Stand

Heiko Kunert merkt zwar, dass sich die Funktionen, wie das Eingeben des ALT-Textes, herumsprechen, "doch wenn ich meine Bubble verlasse, würde ich sagen, dass diese Möglichkeiten nur von einem geringen Anteil wirklich genutzt werden. Es ist lange keine Selbstverständlichkeit, dass Menschen und Unternehmen Funktionen wie diese verwenden - auch wenn es auf Internetseiten schon lange gang und gäbe ist. Dabei ist der ALT-Text für Sehbehinderte die wichtigste Funktion bei visuell geprägten Foren, wie sozialen Medien." Doch Heiko Kunert weiß, was Abhilfe schaffen könnte: "Die Plattformen könnten offensiv bewerben, dass es Möglichkeiten gibt, barrierefrei zu posten und die Funktionen sichtbarer machen!" 

Barrierefreiheit auf Social Media: die Zukunft?

Auf den sozialen Netzwerken gibt es eine Künstliche Intelligenz (KI), die automatisch die Inhalte von Bildern wiedergeben soll. "Das klappt manchmal sehr gut, manchmal aber auch gar nicht", sagt Heiko Kunert. Aber an dieser Funktion werde gearbeitet. Es gebe mittlerweile sogar schon einige Apps, die Szenen auf Bildern oder Videos für Sehbehinderte und Blinde beschreiben. "Das hat Potenzial und wird in Zukunft bestimmt noch besser."

Wenn Menschen in Heiko Kunerts Umgebung davon erfahren, grinsen sie oft breit. Sie denken: "Schön, dann muss ich keine Alt-Texte mehr verfassen!" Doch das sei ein Trugschluss, denn: "Was diese Apps wahrscheinlich nie können werden, ist es, Stimmungen oder Kontexte zu erkennen." Außerdem gebe es einen himmelweiten Unterschied zwischen automatisch generierten und vom Menschen verfassten Bildbeschreibungen.

Was sich Heiko Kunert wünscht: "Ich wünsche mir für die Zukunft, dass mehr privatwirtschaftliche Unternehmen seitens der Politik zur Barrierefreiheit verpflichtet werden", sagt Kunert. Anbieter, die sich an die Allgemeinheit richten und damit Geld verdienen, sollten dazu verpflichtet werden. Wenn sie dies dann auch in den sozialen Netzwerken umsetzen würden, wäre das super, findet er. Denn Social Media spiele gerade für junge Menschen eine große Rolle. "Sie sind heutzutage eher in den sozialen Netzwerken als auf Websites unterwegs", sagt Heiko Kunert.