"Ich war ein Ehrenmord", erzählt die junge Frau aus dem Off; der erste, "der richtig viel Presse bekam." Im Februar 2005 war das, und das Land war erschüttert und schockiert: Ein Teenager hatte seine Schwester auf offener Straße erschossen. Die Eltern der Geschwister waren einst aus Ostanatolien als sogenannte Gastarbeiter nach Deutschland kommen. Die Familie war streng religiös, die Mädchen trugen selbstverständlich Kopftuch.
Aynur, die älteste, musste das Gymnasium abbrechen und in der Türkei einen Cousin heiraten. Nach einem Jahr kehrte sie hochschwanger nach Berlin zurück, ihr Mann hatte sie regelmäßig geschlagen – "Ehe ist die Hölle". Verständnis zeigt jedoch nur ihr älterer Bruder, ein anderer sagt: "Er schlägt sie, weil er sie liebt." Spätestens jetzt wird offenkundig, dass die Traditionen dieser Familie mit hiesigen Maßstäben nicht zu erfassen sind. Da der Film im Prolog die authentischen Aufnahmen von Aynurs Leichnam gezeigt hat, ist von Anfang an klar: "Nur eine Frau" erzählt die Chronik eines angekündigten Todes.
Die ARD ist mit diesem 2019 erstmals ausgestrahlten erschütternden Film ein bewusstes Risiko eingegangen: All’ jene, die der Meinung sind, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, werden sich durch Aynurs Geschichte bestätigt fühlen. Tatsächlich wirken diese in uralten und entsprechend realitätsfern anmutenden Traditionen verhafteten Menschen, als seien sie nicht von dieser (westlichen) Welt. Dass Aynur ihren Mann verlassen hat, ist schon Schande genug. Ihr Todesurteil aber unterschreibt sie, als mit Hilfe des Jugendamts auszieht, das Kopftuch ablegt, die Schule beendet, eine Ausbildung beginnt und sich in einen Deutschen (Jacob Matschenz) verliebt. Fortan wird sie von ihren Brüdern am Telefon aufs Unflätigste beschimpft; Tarik (Aram Arami) ohrfeigt sie gar in der Öffentlichkeit. Unter dem Einfluss eines Imam, der keinen Zweifel daran lässt, welche Strafe Aynur in einem islamischen Land zu erwarten hätte, wird ihr jüngerer Bruder Nuri (Rauand Taleb) schließlich zum Äußersten getrieben.
Bei aller Tristesse der Handlung wollten Florian Oeller (Buch) und Sherry Hormann (Regie) offensichtlich vermeiden, dass "Nur eine Frau" ein deprimierendes Drama wird. Neben einer treffenden Musikauswahl sorgen kurze Standbildsequenzen für optische Auflockerung: Viele Begegnungen oder Gespräche Aynurs werden im Stil eines Fotoromans zusammengefasst. Aufnahmen der echten Aynur erinnern zwischendurch daran, dass die Handlung auf Tatsachen basiert. Außerdem macht der Film durchaus Mut, denn eigentlich erzählt er eine wunderbare Integrationsgeschichte. Oellers Reihenkrimis sind ohnehin stets sehenswert, für die Arbeiten Hormanns ("Wüstenblume") gilt das nicht minder.
Einen ganz wesentlichen Anteil an der Qualität des Films hat außerdem Almila Bagriacik. Die in Berlin aufgewachsene Schauspielerin hat schon einige Male bewiesen, dass sie viel zu gut ist, um im "Tatort" nur die junge Stichwortgeberin des Kieler Kommissars Borowski zu spielen, etwa als Dealerin in "Der gute Bulle: Friss oder stirb" oder in der "Nachtschicht"-Folge "Es lebe der Tod" (beide von Lars Becker). Ihre bislang wichtigste Rolle war die der Opfertochter im dritten Teil der "NSU"-Trilogie "Mitten in Deutschland"; für ihr intensives Spiel wurde sie mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet. Sie verkörpert Aynur, deren Leben mit gerade mal 23 endete, als couragierte junge Frau, die den Traditionen trotzt; vermutlich würde sie heute noch leben, wenn sie dem Rat einer Freundin gefolgt wäre und aus Berlin weggezogen wäre.
Maischberger ist Produzentin
Die Besetzung der Titelrolle mit Bagriacik war auch deshalb eine vortreffliche Wahl, weil sie sich als ausgezeichnete Erzählerin entpuppt. Meist sind Off-Kommentare, in denen Hauptfiguren ihre eigenen Erlebnisse kommentieren, überflüssig, und mitunter stoßen Schauspieler dabei auch an ihre Grenzen, sodass die Texte aufgesagt klingen. Davon kann hier zum Glück keine Rede sein, im Gegenteil. Außerdem sind die Informationen wichtige Ergänzungen, ohne die die Handlung nicht immer verständlich wäre. Abgesehen davon ist das immer noch besser, als die Figuren entsprechende Dialoge austauschen zu lassen ("Wie du ja weißt, sind wir in unseren sunnitisch-kurdischen Traditionen verhaftet"). Und schließlich macht Oeller aus der Not eine Tugend, indem er der Handlung auf diese Weise eine Struktur gibt: Aynur zitiert eine BKA-Liste mit diversen vermeintlichen Verfehlungen, die einen Ehrenmord nach sich ziehen können. Sie arbeitet diese Liste gewissermaßen von oben nach unten ab.
"Nur eine Frau" ist weit davon entfernt, die Familie in Schutz zu nehmen oder Verständnis für die Tat zu wecken, zumal die Mitglieder bevorzugt unsympathisch gezeichnet sind; aber vor dem Hintergrund ihrer vormodernen Denkweise ist die bittere Tat im Grunde nur konsequent. Dank eines geschickten Drehs gelingt es Oeller trotzdem, den von Sandra Maischberger produzierten Film dennoch mit einem positiven Gefühl enden zu lassen.