Ein Sonntagabend im "Café 1001 Nacht" unweit des Potsdamer Platzes in Berlin. Gedämmtes Licht, Rauchwolken steigen aus Shisha-Pfeifen, auf den Flachbildschirmen flimmern die letzten Nachrichten über die Gefechte in der syrischen Heimat. Eine Gruppe von etwa 30 Männern sitzt im Hinterraum des Cafés an niedrigen Holztischen auf dicken Teppichen. Sie ziehen in langen Zügen den Dampf des Apfeltabaks ein, trinken dabei heißen Tee und diskutieren.
Seit den Aufständen in der Heimat ist die Solidarität unter den Syrern in Berlin gewachsen, sie eint der Kampf gegen den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad. "Seit elf Monaten sind wir hier fast jede Woche aktiv, mit Veranstaltungen, Demos und Kundgebungen. Wir versuchen massiv, die syrische Revolution von hier aus zu unterstützen. Mit allen Mitteln." sagt Mustafa Gumrock, der Vorsitzende des Deutsch-Syrischen Vereins in Berlin.
Der sympathisch wirkende, untersetzte Mann mit prächtigem Schnurrbart trägt einen dunklen Anzug. Mit 20 Jahren ist er aus Syrien geflohen und arbeitet jetzt seit 41 Jahren als Elektroingenieur in Berlin. Im Deutsch-Syrischen Verein organisiert er mit seinem Sohn Fadel den kulturellen und wissenschaftlichen Austausch "der einen und der anderen Heimat" und setzt sich für die Integration der Exil-Syrer in Deutschland ein. "Als Syrer hätte ich nach 40 Jahren Unterdrückung nie geglaubt, dass es zur Revolution kommt. Die Mauer der Angst ist endlich durchbrochen. Leider muss man Freiheit und Demokratie mit Blut bezahlen. Leider!"
Zwei Cousins von Mustafa Gumrock sind bei Gefechten in Homs bereits ums Leben gekommen. Verfolgung, Entführung und Mord von politisch Missliebigen gehören seit zwei Generationen zum Alltag des syrischen Regimes. Jetzt hat die arabische Rebellion dank sozialer Netzwerke und digitaler Medien auch Syrien ergriffen: "Das Morden wird endlich sichtbar", meint Mustafa Gumrock.
Der Geheimdienst ist überall
Auch in Deutschland mussten Regimegegner bis zuletzt mit Verfolgung durch den syrischen Geheimdienst rechnen. Der brutale Überfall auf den syrisch-stämmigen Grünenpolitiker Ferhad Ahma in seiner Berliner Wohnung, hat das nachdrücklich gezeigt. Auch ein Cafébesucher, der sich Ibrahim nennt, ein 35jähriger Doktorand, hat die Verfolgung durch das syrische Regime erlebt: "Seit dem Anfang der Revolution Ende März 2011 engagiere ich mich hier mit Demos und anderen Aktionen. Als ich mit meiner Mutter in Syrien telefoniert habe, meinte sie, ich solle mich ruhig verhalten und aufpassen, was ich sage: 'Du bist vielleicht in Deutschland, aber dein Bruder und deine Schwester sind hier, und vielleicht passiert etwas Schlimmes', hieß es."
Wer sich in Deutschland in der Anti-Assad-Bewegung engagiert, riskiert, öffentlich denunziert und mit dem Tode bedroht zu werden, während seine Verwandten in der Heimat mit Verfolgung und Verschleppung rechnen müssen. Ibrahim ist überzeugt, dass Telefongespräche nach Syrien abgehört werden, und eine Reise zu seiner Familie in Syrien unmöglich ist - er würde bereits am Flughafen festgenommen und dann einfach verschwinden, befürchtet er.
Seit Wochen ohne Lebenszeichen
Erst kürzlich sind zwei syrische Spione, Mitarbeiter der Botschaft in Berlin, festgenommen und des Landes verwiesen worden. Seit Ibrahim bei Facebook ein Foto von einer Anti-Assad-Demonstration in Berlin entdeckte, auf dem er namentlich markiert und bedroht wurde, ist er vorsichtiger geworden. Seine beiden Kinder begleitet Ibrahim jetzt täglich zur Schule.
Es sind die Leute aus dem "Café 1001 Nacht", die vor einem Monat einen Sturm auf die syrische Botschaft in Berlin organisierten. Die Filmaufnahmen zeigen eine aufgebrachte Menge von etwa 40 Männern und Frauen, die Assad-Porträts von den Wänden reißen und mit Füßen treten. "Wir haben nichts zerstört, außer den Porträts von Assad und seinem Sohn", betont Maysoun Berkdar, die einzige Frau im Café 1001 Nacht. Die alleinerziehende Mutter von drei Kindern unterstützt von Berlin aus die Revolution in der Heimat als Administratorin eines Anti-Assad-Netzwerks. Sie stellt Filme, Texte und Aufrufe der außersyrischen Opposition online.
"Im ersten Monat hatte ich Angst, bei einer Demo mitzumachen. Aber als ich die vielen Videos gesehen habe, was alles passiert, da sagte ich: Ich habe jetzt keine Angst mehr, und ich bin rausgegangen. Mein Name ist jetzt bekannt." Ihre Stimme aus dem Exil war schon im syrischen Propaganda-Fernsehen zu hören - als Verräterin, berichtet Maysoun Berkdar nicht ohne Stolz. Ihr Cousin in Homs ist seit Wochen verschwunden. Niemand weiß, ob er noch lebt.
"In Homs gibt es nichts!"
Die Mehrheit der 32.000 Syrer in Deutschland, von denen etwa 2200 in Berlin leben, hat sich längst auf die Seite der Opposition geschlagen. Dennoch stehen einige immer noch hinter Assads Regime. "Weil sie entweder Geld bekommen oder wegen ihrer Karriere. Viele von ihnen helfen uns heimlich und spenden kleine Beträge, aber sie sagen: 'Wir wollen im Schatten bleiben, weil wir Angst haben'", erzählt Osama Al-Amin von der Union der syrischen Studenten und Akademiker in Deutschland (USSA).
Der 40 Jahre alte Jurist hat Geld und Kleider für die Menschen in Syrien gesammelt und einen Medikamententransport über die türkische Grenze organisiert. Nicht alle Hilfstransporte kommen an, aber Osama gibt die Hoffnung nicht auf: "In Homs gibt es nichts!", erregt er sich. "Keine Lebensmittel, keine Krankenhäuser und keine Medikamente."
Im "Café 1001 Nacht" in Berlin wird an diesem Sonntagabend noch weiter diskutiert, über die große Demonstration in Berlin zum Jahrestag der Revolution Ende März oder die Nachrichten von Angehörigen in der Heimat. Auch wenn die Bundesregierung sich unlängst weigerte, einen formellen Abschiebestopp für syrische Flüchtlinge zu beschließen, hat hier niemand Angst, in die Hände des Regimes ausgeliefert zu werden.
"Wir arbeiten gut mit den deutschen Behörden zusammen und begrüßen die Ausweisung von vier syrischen Diplomaten", meint Mustafa Gumrock. Sein nächstes Ziel: die Absetzung des syrischen Botschafters. "Wir sehen tagtäglich das Morden von Frauen und Kindern in unserer Heimat. Das tut sehr weh. Und was noch mehr wehtut, ist, dass die Welt nur zuschaut und sich nicht einmischt."
Dieser Artikel erschien erstmals am 23. März 2012 auf evangelisch.de.