Was ist in den letzten Wochen in Russland passiert? Vieles, aber nicht so viel Neues. Der Krieg ist zum Teil unserer Realität, unseres Alltags geworden. Das bedeutet nicht, dass die Situation einfacher oder angenehmer wurde – gar nicht. Aber nach mehreren Monaten fühlt man sich anders: Das ist keine Überraschung mehr, sondern die Gegebenheit, mit der wir irgendwie interagieren müssen.
In den ersten Tagen, als es begann, habe ich geschrieben, dass ich kaum Leute kenne, die Putins Handlungen unterstützen. Dann habe ich erfahren, was Propaganda tun kann – am Beispiel meiner Großeltern, die zuerst geschockt und erschrocken waren, aber dann passende Argumente für sich fanden: "Der Krieg dauert schon acht Jahre", "Ukrainer:innen sind Nazis" und so weiter. Jetzt sind sie ruhig und zufrieden: Vor ihren Augen wird der Kampf zwischen Licht und Dunkelheit geführt, und Putin ist natürlich das Licht.
Aber ich kann immer noch nicht sagen, dass die meisten Russen "dafür" sind. Viele sind einfach müde und versuchen weiter so zu leben, als ob es den Krieg nicht gäbe. Ich selbst habe so einen starken Wunsch, mich vor all dem zu verstecken – wenn man jeden Tag immer vom Krieg und Tod redet, wird man schnell psychologisch erschöpft.
Aus Kindergärten schallen patriotische Lieder
Der Staat versucht, ein Bild der Massenunterstützung zu schaffen. Ich habe mit eigenen Augen Gebäude staatlicher Behörden gesehen, wo jedes Fenster mit der Flagge Russlands und dem Buchstaben "Z" geschmückt ist. Neben meinem Haus ist ein Kindergarten, und wenn ich vorbeigehe, höre ich oft patriotische Lieder und sogar die Hymne. Kinder stehen mit geistesabwesenden Gesichtern im Hof – das ist nicht das, was man in ihrem Alter von einer Mittagspause erwartet.
Als ich in der Schule lernte, hatten wir auch Patriotismus-Unterricht, den wir, soweit ich mich erinnere, überhaupt nicht ernst genommen haben. Die pathetischen Reden der Lehrer klangen gekünstelt, die Notwendigkeit, still zu stehen und der Hymne zu lauschen, fanden wir sinnlos. Hier versteht man schnell: Das ist ein Theater, wo jede und jeder eine Rolle spielt, ohne wirklich daran zu glauben, was gesagt wird.
Der Trend, der mich beunruhigt: Immer mehr wird von Souveränität gesprochen, in dem Sinne, dass Russland den "Rest der Welt" überhaupt nicht berücksichtigen kann. In letzter Zeit sind Angriffe auf LGBT+ eskaliert. Homosexualität oder Gender-Identität, die nicht in die Kategorien "männlich" und "weiblich" passt, wird fast zum Verbrechen erklärt.
Hetze gegen Homosexuelle
Es gerät ins Lächerliche: In föderalen Fernsehsendern wird allen Ernstes von Regimentern homosexueller Nazis in der ukrainischen Armee gesprochen. Darüber hinaus gab es im Juni eine Gesetzesinitiative zum Verbot von "Homosexuellenpropaganda" für Erwachsene. Es gibt bereits ein Verbot, Kindern davon zu erzählen und jetzt hat man versucht, uns zu verbieten, überhaupt ein positives Bild von LGBT+ zu schaffen, weil es den "traditionellen russischen Werten" nicht entspricht. Ich weiß nicht, wie ich es erklären kann – das ist einfach zu komisch.
"Wir leben in einer Anti-Utopie" – das wiederholen die wenigen verbliebenen Oppositionspolitiker immer wieder. Die Frage ist nur, wie lange werden die Menschen bereit sein, dies zu ertragen?
*Anna heißt eigentlich anders. Zu ihrem Schutz hat die Redaktion ihren Namen geändert.