Wenn Andreas Ziegler das Frankfurter Stadion betritt, ist es für ihn immer ein bisschen wie nach Hause kommen. Am Sonntag nach dem historischen Europapokalsieg der Eintracht gegen die Glasgow Rangers hat sich seine Familie in der Stadionkapelle versammelt, um Enkelsohn Niko von Pfarrer Eugen Eckert taufen zu lassen. Es ist die 200. Taufe insgesamt seit 2007 in der Haupttribüne des "Deutsche Bank Parks", wie das Stadion seit 2020 offiziell heißt.
In die 90 Quadratmeter große Kapelle passen gerade drei Stuhlreihen. Und doch ist alles vor Ort, was ein Andachtsraum benötigt: Pult, Taufbecken und ein Altar, auf dem bereits Nikos Taufkerze steht - und eine Replik des silbernen Europapokals. Der ganze Raum ist durch Bodenscheinwerfer in pink-violettes Licht getaucht.
Nach und nach betreten etwa 25 Familienangehörige die Kapelle und begrüßen Pfarrer Eckert wie einen alten Bekannten. Einige haben Festgarderobe angezogen, andere tragen Eintracht-Trikots oder haben Schals in den Clubfarben Rot und Schwarz umgelegt. "Die Familie ist wirklich ein Phänomen. Sieben Ziegler-Kinder habe ich bereits getauft und drei Trauungen vollzogen. Das gibt es nicht noch einmal", sagt Eckert und lacht.
Die Zieglers stammen aus dem Offenbacher Stadtteil Lauterborn. Wie die Liebe zur Eintracht entstanden ist, weiß Nikos Mama Jennifer selbst nicht mehr. "Ich war schon von klein auf mit im Stadion", erzählt sie. "Deshalb kommt für mich gar nichts anderes in Frage, als meine Kinder auch dort taufen zu lassen." Die Eintracht sei für sie wie wie eine Erweiterung der eigenen Familie: "Egal, ob du die anderen Eintracht-Fans im Stadion kennst oder nicht - irgendwann liegt man sich in den Armen!"
Opa Ziegler glaubt an den Fußballgott
Niko ist bereits das zweite Kind von Jennifer und Ehemann Dirk, das von Pfarrer Eckert in der Stadionkapelle getauft wird. Im Juli 2017 hatten sich dort die beiden selbst trauen lassen.
Sogar der Glaube an Gott sei letztlich durch den Fußball gekommen, erzählt Opa Andreas Ziegler: "Ich habe immer fest daran geglaubt, dass es einen Fußballgott gibt. Gerade während des Europapokal-Endspiels war der auch wieder da. Aber auch sonst ist eigentlich immer alles gut ausgegangen, nachdem ich gebetet habe." Auch die Gesundheit seiner Kinder und Enkelkinder und die langjährige Ehe mit seiner Frau Manuela seien für ihn Geschenke Gottes, betont der 59-Jährige.
Andreas Ziegler war schon als kleiner Junge Eintracht-Fan. Geld für die Fußballspiele im Waldstadion, wie die Arena damals hieß, hatte er aber nicht immer. "Wir sind dann einfach über den Zaun geklettert. Ordnungskräfte sind zwar schon damals Patrouille gelaufen, aber so zwei, drei Mal hat das geklappt", erinnert er sich.
Nach der Taufe von Niko dröhnt die deutsche Version des Klassikers von Leonhard Cohen "Dein Leben liegt in Gottes Hand, das ist worauf du zählen kannst, Hallelujah" aus den Lautsprechern. Die Zieglers stimmen lauthals ein, einige schunkeln sogar im Takt der Musik mit." Für Jennifer ist der Fußball nicht mehr vom Glauben zu trennen: "Bei uns in der Familie ist das so, dass alle Kinder vom ersten Tag an Mitglied bei der Eintracht werden. Und dann ein bisschen später durch die Taufe auch Kirchenmitglied."
Auch Pfarrer Eckert sieht die Verbindung von Glaube und Fußball. Sie sei etwas ganz Besonderes und funktioniere sehr gut: "So wie es im christlichen Glauben verschiedene Bräuche und Glücksbringer gibt, so gibt es die natürlich auch beim Fußball: Die Trikots, die Schals, die Fangesänge. Da ist es nicht mehr schwer, anzuknüpfen."
Die Taufe des kleinen Niko endet auf der Haupttribüne des Stadions. Die ganze Familie stellt sich dort für gemeinsame Fotos zusammen, jubelt wie bei einem Eintracht-Spiel. In der Mitte steht lächelnd Nikos Papa Dirk mit dem müden Täufling auf dem Arm. Während Niko langsam die Äuglein zufallen, umschließt seine kleine Faust fest die Replik des Europapokals.