Sicherlich würde man dem rheinland-pfälzischen CDU-Politiker Gerd Schreiner nicht Unrecht tun, wenn man ihn als einen Mann beschreibt, der kein rhetorisches Gefecht scheut und der sich am Rednerpult manchmal über böse Zwischenrufe geradezu zu freuen scheint. Der Landtagsabgeordnete sprudelt oft förmlich vor Selbstbewusstsein. Und er genießt es, seinen politischen Kontrahenten Paroli zu bieten, egal, ob es um den Wiederaufbau der Flutgebiete, barrierefreie Bahnhöfe oder verstopfte Entwässerungsgräben geht.
Seit einiger Zeit versucht der Mainzer Parlamentarier sich in einer für ihn neuen Rolle. Er lässt sich in der evangelischen Kirche zum Laienprediger ausbilden.
Die kleine Gottesdienstgemeinde in der Mainzer Melanchthonkirche, einem eigenartigen pyramidenförmigen Betonbau von 1970, erlebt an einem Sonntag nach Ostern einen ganz anderen Schreiner - nicht den schlagfertigen Politik-Profi, sondern einen nachdenklichen Christen. Vorne vor dem Altar predigt er darüber, wie die Jünger Jesu nach der Kreuzigung zunächst verzweifelt und ziemlich erfolglos versuchen, zu ihrem alten Leben als Fischer zurückzukehren. "Ich kenne auch die Nächte, in denen es nicht Tag werden will", sagt er dort. "Grübeln ist ok, zweifeln ist ok."
Der CDU-Politiker ist Jahrgang 1970 und gehört schon seit 25 Jahren dem Landtag an. Ab 2019 war der vierfache Vater zudem Generalsekretär der rheinland-pfälzischen Landes-CDU. Dieses Amt gab er nach der für seine Partei enttäuschenden Landtagswahl 2021 wieder ab. Für ihn und seine Frau sei aber auch kirchliches Engagement immer von großer Bedeutung gewesen, erzählt der Politiker - gewissermaßen wie ein "Familienprojekt". Mit seinem Fachwissen als selbstständiger Architekt begleitete Schreiner Sanierungsvorhaben, mehrere Jahre lang war er ehrenamtlicher Vorsitzender des Kirchenvorstands in seiner Gemeinde.
Überzeugungen teilen statt "Meinungskampf"
Gerade, weil er Berufspolitiker ist, bedeutet sein Glaube Schreiner so viel. Es helfe dabei, nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren, wenn etwas misslinge und schütze davor, bei eigenen Erfolgen in Überheblichkeit zu verfallen. "Es wird nicht honoriert, wenn du als Politiker zu offensiv über eigene Schwächen sprichst", sagt der Abgeordnete. In der Kirche wolle er aber nicht als Politiker wahrgenommen werden. Tagesaktuelle Bezüge verkneift er sich ohnehin im Gottesdienst.
Parallelen zwischen politischen Debatten und einer Predigt in der Kirche gebe es kaum, berichtet Schreiner. Im Parlament finde ein "ritualisierter Meinungskampf" statt, in der Kirche gehe es darum überhaupt nicht. Auch sei eine Predigt immer viel persönlicher: "Das, was du im Landtag sagst, ist natürlich auch deine Überzeugung, aber es ist vorher mit den Kolleginnen und Kollegen besprochen." Im Gottesdienst könne sich der Prädikant nicht hinter einer Fraktion verstecken. An seinen eigenen Predigten habe er teilweise über mehrere Wochen hinweg gefeilt.
"Ich habe nach wie vor einen ganz kindlichen Glauben", räumt der Politiker offen ein. Wenn er bete, sehe er oft noch vor sich, wie seine Großmutter vor dem Einschlafen einst neben ihm am Bett gesessen habe. Ihr Gottvertrauen habe er übernommen, nun wolle er es gerne auch an andere Menschen weitergeben: "Letztlich will ich über die Hoffnung sprechen, die in unserem Glauben liegt und Kraft verleiht." Den Ansatz der evangelischen Kirche, dass nicht nur ordinierte Pfarrerinnen und Pfarrer einen Gottesdienst leiten dürfen, sondern auch Prädikanten, also ausgebildete Laien, finde er großartig.
In dem zweijährigen Vorbereitungskurs lernen künftige Prädikanten, wie man eine Bibelstelle auslegt oder wie man die Gemeinde am Ende des Gottesdienstes segnet. Um die Zeit, die all das kostet, ist es Schreiner nicht schade. "Natürlich haben wir alle immer ewig viel zu tun", sagt er. "Manchmal denkt man, man müsste mal in Urlaub fahren. Aber es kann auch Urlaub sein, über solche Texte nachzudenken."