Die bislang eher wohlwollende Stimmung gegenüber den Ukraine-Flüchtlingen könnte etwa wegen des seit Jahren eklatanten Wohnraummangels bei einem Teil der Bevölkerung umschlagen. Viele Menschen mit geringem Einkommen konkurrierten mit den Flüchtlingen um günstige Wohnungen. "Da entwickeln sich Ängste und Widerstände gegen diejenigen, die ihnen etwas wegnehmen könnten", sagte Kumbruck in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst.
Diese Spaltung der Gesellschaft in Flüchtlingshelfer und Flüchtlingsskeptiker habe sich bereits seit 2015 gezeigt, als vermehrt Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien nach Deutschland kamen, sagte die Professorin für Wirtschaftspsychologie mit Schwerpunkt interkulturelle Psychologie an der Hochschule Osnabrück. Die eher weltoffenen, neugierigen, häufig akademisch gebildeten Kosmopoliten unterstützten die Geflüchteten. "Für viele ist das wie eine Art Weltreise, ohne dass sie sich selbst auf den Weg machen müssen."
Bei den eher auf Sicherheit bedachten Traditionalisten, denen Sesshaftigkeit wichtig sei, überwiege die Angst vor dem Fremden. Sie lehnten Einwanderer, egal aus welchen Gründen diese kämen, eher ab.
Kumbruck und ihr Team haben gemeinsam mit dem Sozialwissenschaftlichen Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in einem Forschungsprojekt untersucht, was Menschen zum Engagement in der Flüchtlingsthematik bewegt. Vier Jahre lang haben sie sich mit Motiven, Werten und Vorurteilen der Flüchtlingshelfer und der Flüchtlingsskeptiker beschäftigt. In diesen Tagen erscheint dazu im Springer-Verlag das Buch "Spannungsfeld Flüchtlinge - ein psychologischer Blick auf Engagierte und die Dialogkultur" erschienen. Am 17. Mai werden Ergebnisse auf einer Online-Tagung der Hochschule präsentiert.
Alarmierendes Ergebnis der Studie sei, dass sich die Menschen mit ihren Einschätzungen unversöhnlich gegenüberstünden, betonte Kumbruck. Die Stimmung sei geprägt von Misstrauen, Frustration, Vorurteilen und erhobenem Zeigefinger auf beiden Seiten. Die Polarisierung werde verschärft durch soziale Ungleichheit, das Gefühl, von der Politik keine Unterstützung zu bekommen, und die Hasskultur in den sozialen Medien. "Das birgt die Gefahr der Radikalisierung und der Bildung von Schattengesellschaften und Clans, die nach eigenen Gesetzen leben."
Die Psychologin appellierte an die Politik, Dialogforen zu entwickeln und Weiterbildungen zu forcieren, die das Miteinander und das Aushandeln von Konfliktlösungen propagierten - "von der Krabbelgruppe bis zum VHS-Kurs für Rentner". Den Menschen müsse deutlich werden, dass es ein Gewinn sei, miteinander und nicht nebeneinander in einer vielfältigen Gesellschaft zu leben. "Wir müssen wieder ein Ethos des guten Miteinanders etablieren."