"Frieden schaffen ohne Waffen" lautete Anfang der 80er Jahre ein griffiger Slogan der Friedensbewegung, der Grundlage einer dauerhaften Friedensordnung werden sollte. Auf ungezählten Plakaten, Aufklebern, Transparenten, Handzetteln und Aktionshandbüchern erschien der Spruch in immer neuer Gestaltung. Hat sich das Motto von damals überlebt und ist der Pazifismus angesichts des brutalen russischen Angriffskriegs in der Ukraine am Ende?
Nein, sagt Björn Kunter vom Netzwerk Friedenskooperative, das die Aktionen der deutschen Friedensbewegung koordiniert. Pazifismus sei mehr als der Verzicht auf Waffen, betont der Osteuropa-Experte, der sich schwerpunktmäßig mit ziviler Konfliktbearbeitung befasst. Ansätze gewaltfreier Verteidigung könnten auch in Kriegszeiten funktionieren, das zeigten Proteste in ukrainischen Städten ebenso wie Desertionen und Befehlsverweigerungen russischer Soldaten. In der Ukraine gebe es Strukturen, die den Widerstand tragen und am Leben halten: "Russland hat auch in den besetzten Gebieten noch lange nicht gewonnen."
Waffenlieferungen und neue Aufrüstung beurteilt Kunter kritisch. Eine pazifistische Bundesregierung wäre besser vorbereitet gewesen und hätte jetzt "andere Optionen, mehr Fantasie und Fachkräfte, um die Ukraine gewaltfrei zu unterstützen", sagt er. Das geplante Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr sei kein Beitrag zur Unterstützung der Ukraine, sondern solle nur die Abschreckungsfähigkeit der ohnehin haushoch überlegenen Nato gegenüber Russland erhöhen. Die Bundeswehr sollte sich auf die Landesverteidigung beschränken.
Ukraine-Krieg ist zentrales Thema
Bei den diesjährigen Ostermärschen der Friedensbewegung von Karfreitag bis Ostermontag (15. bis 18. April 2022) wird der Ukraine-Krieg das zentrale Thema sein. Bundesweit sind mehr als hundert Demonstrationen, Fahrradtouren, Mahnwachen und Friedensgebete für ein sofortiges Ende der Kämpfe und eine Friedensregelung geplant. Die Organisatoren des Ostermarschs Rhein/Ruhr warnen, ohne eine Verhandlungslösung drohe der Krieg in der Ukraine zu eskalieren und könnte sich zu einem Flächenkrieg mit nicht vorstellbaren Folgen ausweiten.
Gegen weitere Waffenlieferungen wendet sich auch Clemens Ronnefeldt, Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes. "Werden diese Waffen möglicherweise zur Verlängerung des Krieges und zu noch mehr Leid der Zivilbevölkerung führen?", fragt der katholische Theologe. "Werden sie eventuell in die Hände der russischen Invasoren gelangen und sich gegen die Menschen in der Ukraine wenden, die sich damit hätten verteidigen sollen?" Die Einsätze in Afghanistan, dem Irak, Libyen, Syrien, dem Jemen oder Mali hätten gezeigt, dass militärisches Eingreifen keines der politischen Ziele erreicht habe.
Ronnefeldt fordert deshalb ein Umdenken "weg von der Sicherheitslogik hin zur Friedenslogik". Eine enorme Aufrüstung der Ukraine in den letzten Jahren habe dem Land offenbar nicht mehr Sicherheit gebracht, "weil sie auf der russischen Seite Unsicherheit ausgelöst hat". Besser wären zivile diplomatische Frühwarnsysteme und Friedensdienste. "Die Alternative zu Militäreinsätzen heißt nicht Passivität, sondern aktive zivile Friedensarbeit auf allen gesellschaftlichen und politischen Ebenen, etwa mit hochrangigen Kriseninterventionsteams", betont Ronnefeldt.
Der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Friedrich Kramer, hält Waffenlieferungen in Krisengebiete ebenfalls für falsch. Er räumt aber ein, dass "im Krieg niemand schuldlos" bleibe. Im Blick auf die Ukraine gelte es deshalb abzuwägen, "ob das Liefern von Waffen zum direkten Töten oder die Unterlassung der militärischen Unterstützung des gerechtfertigten Verteidigungskampfes der Ukraine größere Schuld ist".
Kramer warnt auch vor atomarer Aufrüstung, die Folgen eines Atomkriegs wären unabsehbar. Deshalb müsse die Bundesregierung dem Atomwaffenverbotsvertrag beitreten. "Die Abschreckung funktioniert nur so lange, wie beide Seiten etwas zu verlieren haben und sich rational verhalten", sagt der EKD-Friedensbeauftragte. Hier sei heute eine völlig andere Situation als zu Zeiten des Kalten Krieges.