Gut zwei Jahre nach dem Beginn der Corona-Pandemie hat der Deutsche Ethikrat Kriterien für den Umgang mit der aktuell noch nicht ausgestandenen und möglichen künftigen Krisen vorgelegt. Die Pandemie habe die ganze Gesellschaft betroffen und ein Stück weit verändert, sagte die Vorsitzende des Ethikrats, Alena Buyx, am Montag in Berlin. Bei der Güterabwägung in einer solchen Krise Fehler zu machen, sei unvermeidlich. Man müsse sie sich eingestehen und langfristig zu einem besseren Umgang kommen, sagte Buyx bei der Vorstellung einer Stellungnahme des Ethikrats, die Kriterien für den Umgang mit Pandemien formuliert.
Buyx sieht selbst vor allem zwei Fehler, die während der Corona-Pandemie gemacht wurden. Zu spät und zu wenig sei in den Blick genommen worden, dass Gruppen auf verschiedene Weise verletzlich seien, sagte die Medizinethikerin. Während am Anfang die medizinische Verletzlichkeit der Älteren im Fokus gestanden habe, sei mit dem Fortdauern der Pandemie die psychische Verletzlichkeit der Jüngeren offenbar geworden. "Da hätten wir uns mehr Ausgleich gewünscht", sagte Buyx. Einen weiteren Fehler sieht sie darin, dass die negativen Folgen der Schutzmaßnahmen nicht ausreichend erfasst worden seien, um für die Zukunft Schlüsse zu ziehen.
Nach Ansicht der Biologin und Ethikerin Sigrid Graumann hat sich in der Pandemie gezeigt, wie wenig krisenfest viele Institutionen in Deutschland sind. Im Bildungswesen habe es viele kreative Ideen gegeben, um insbesondere benachteiligten Kindern Unterricht jenseits der manchmal schwer zu realisierenden digitalen Formate zu ermöglichen. Viele seien ausgebremst worden von der Schulbürokratie, sagte sie. Das sollte künftig anders sein. Auch die Mängel im öffentlichen Gesundheitssystem haben in ihren Augen systemische Mängel offenbart.
In dem rund 160-seitigen Papier mit der Überschrift "Vulnerabilität und Resilienz in der Krise" nehmen die Expertinnen und Experten des Ethikrats rückblickend die Schutzmaßnahmen unter die Lupe und analysieren diese hinsichtlich ihrer Ausgewogenheit und Gerechtigkeit gegenüber verschiedenen Gruppen. Am Ende geben sie zwölf Empfehlungen, die darauf abzielen, Maßnahmen künftig besser abzuwägen, mehr Beteiligte einzubeziehen, Eigenverantwortung und Solidarität zu stärken sowie konsequenter zu kommunizieren.
"Maßnahmen gegen die Pandemie müssen demokratisch legitimiert, ethisch gut begründet und zugleich gesellschaftlich akzeptabel sein", bilanzierte die Ethikratsvorsitzende Buyx. Das neue und von vielen Seiten immer noch heftig kritisierte Infektionsschutzgesetz, mit dem seit Sonntag viele Schutzmaßnahmen weggefallen sind, wollte sie konkret anhand der vom Ethikrat aufgestellten Kriterien nicht bewerten. Grundsätzlich sei aber schon zu erkennen, dass die Politik dazugelernt habe, sagte sie. Inzwischen gebe es einen breiteren Beteiligungsprozess und Experten würden angehört. Auch dass die Maßnahmen differenzierter werden, sei zu begrüßen, sagte Buyx.