Frieden ist ein zentrales Thema des christlichen Glaubens und naturgemäß ein Kernthema der Kirche. In jedem Gottesdienst wird für den Frieden gebetet, am Ende werden die Herzen und Seelen der Gläubigen dem Frieden Gottes anempfohlen.
In der Nachkriegszeit wurde die kirchliche Lehre vom "gerechten Krieg", wonach Krieg unter gewissen Bedingungen gerechtfertigt ist, final auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgt. Die evangelische Kirche schloss sich dem Gewaltverbot in der Charta der Vereinten Nationen an, nachdem der deutsche Protestantismus im Ersten und Zweiten Weltkrieg die preußischen beziehungsweise nationalsozialistischen Machthaber im Krieg unterstützt hatte.
"Auf der Gewalt ruht kein Segen, und Kriege führen nur tiefer in die Bitterkeit, Haß, Elend und Verwahrlosung hinein. Die Welt braucht Liebe nicht Gewalt, sie braucht Frieden nicht Krieg" - mit diesen Worten erteilte die erste Kirchenkonferenz der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) im Jahr 1948 dem Krieg als Mittel zur Durchsetzung politischer Interessen eine Absage. Dabei ist es bis heute geblieben.
Doch der russische Angriff auf die Ukraine hat in der evangelischen Kirche eine Debatte angestoßen, ob die protestantische Friedensethik erneuert werden muss. Denn der kirchliche Friedensappell mit Aufrufen zum Gebet ist vielen zu blass angesichts eines gewaltsam vorgehenden russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Kritische Prüfung
In der vergangenen Woche hat die Kirchenkonferenz der EKD, eines der Leitungsgremien der evangelischen Kirche, in dem alle 20 leitenden Geistliche der Landeskirchen sitzen, eine Stellungnahme zum Ukraine-Krieg veröffentlicht. Darin betont sie das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine im Krieg mit Russland. "Das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine im Blick auf die gegen sie gerichteten Aggressionen ist unbestritten." Darin heißt es aber auch: Frieden sei letztlich nicht mit Waffengewalt herzustellen. "Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg", betonen die Bischöfinnen und Bischöfe.
Damit deutet sich schon das Dilemma kirchlicher Positionen zum Krieg an, das die aktuelle Ratsvorsitzende Annette Kurschus vor Kurzem im Interview mit dem Evangelischen Pressedienst beschrieben hat. "Wie immer wir uns positionieren: Wir können in dieser Situation keine weiße Weste behalten", sagte sie und plädierte für eine kritische Prüfung der Friedensethik. Sie halte es für zynisch zu sagen, Gebete und Mitgefühl mit den Menschen in der Ukraine müssten ausreichen.
Gewollte Vielstimmigkeit
Der Friedensbeauftragte der EKD, der mitteldeutsche Landesbischof Friedrich Kramer, positionierte sich vor allem in der Frage von Waffenlieferungen an die Ukraine kritisch. Er sagte im Gespräch mit dem epd, er halte es nicht für klug, dass die Bundesregierung unter dem medialen und öffentlich Druck in dieser Frage "eingeknickt" sei. "Der Rückfall in die Rhetorik des Kalten Krieges und der Schützengräben wird Europa nicht sicherer machen", betonte er Anfang März.
Vielstimmigkeit in den Positionen ist in der evangelischen Kirche nichts Ungewöhnliches - im Gegenteil, sie ist gewollt. Oft steht die evangelische Kirche in dem Verdacht, einem prinzipiellen Pazifismus anzuhängen.
Die protestantische Friedensethik steht vielmehr im Spannungsfeld zwischen Pazifismus und dem, was der frühere EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber einmal als "Verantwortungspazifismus" bezeichnet hat. 2007 war er als Ratsvorsitzender ein Verantwortlicher der zweiten EKD-Friedensdenkschrift, die das Leitbild des "gerechten Friedens" etabliert hat, das seither als Kernstück protestantischer Friedensethik gilt.
Die Denkschrift stellte klar, dass zur Wahrung und Wiederherstellung des Rechts unter Umständen auch der Einsatz militärischer Gewalt ethisch legitimierbar ist. Sie folgt dem Grundsatz, militärische Mittel nur als Ultima Ratio einzusetzen, und betont den Primat der friedlichen Konfliktlösung. Darin unterscheidet sich die Denkschrift von einem radikalen Pazifismus.
Über die Jahre hat sich die evangelische Friedensethik fortentwickelt. 2019 auf der EKD-Synode in Dresden betonten die Delegierten etwa, dass ein stärkerer Fokus auf Klimagerechtigkeit gelegt werden müsse. Angesichts eines Angriffskriegs in einem europäischen Land muss sich zeigen, ob die protestantische Friedensethik Antworten geben kann auf die praktischen Herausforderungen der Friedenspolitik.