Sie gehen in schwarzer Trauerkleidung zu Protesten, spazieren mit weißen Rosen durch die Straßen, hängen Antikriegsflugblätter auf, schreiben "Nein zum Krieg" auf Rubel-Scheine und erstellen kitschige Antikriegsbilder für die ältere Generation zum Versenden auf WhatsApp - die Mitglieder des Feministischen Antikriegswiderstands wollen trotz Unsicherheit auf der Straße präsent sein.
Alisa ist eine feministische Aktivistin aus St. Petersburg und eine der Koordinatorinnen des Feministischen Kriegswiderstands. Diese Bewegung entstand am Tag des russischen Angriffs auf die Ukraine, dem 24. Februar. "Wir erkannten, dass wir uns für die Antikriegskampagne zusammenschließen mussten, und begannen, eine Struktur zu entwickeln", erzählt Alisa, deren wirklicher Name geheim bleiben muss. "Unser Ziel ist es, den Krieg und die Gewalt zu stoppen." Sie schrieb zusammen mit anderen Feministinnen ein Widerstandsmanifest, sie gründeten Social-Media-Kanäle und Arbeitsgruppen und begannen mit Protestaktionen.
Wegen der Repressionen durch den russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin wird der Protest immer unsicherer. Die Aktivistinnen veröffentlichten Anfang März eine Audio-Aufnahme, auf der Schläge gegen eine der Aktivistinnen, Alexandra Kaluzskaja, in der Polizeistation Bratejewo in Moskau zu hören sind. Alexandra war zuvor bei einer Kundgebung festgenommen worden. Eine weitere Unterstützerin der Bewegung sei am 21. März für neun Tage in Jekaterinburg inhaftiert worden, weil sie an der Aktion "Frauen in Schwarz" teilgenommen hatte.
Alisa hat Russland Anfang März verlassen: Sie wurde angeklagt, weil sie per Telefon fälschlicherweise einen Bombenanschlag bei der Polizei gemeldet haben soll. Ihre Wohnung wurde durchsucht, ihre elektronischen Geräte beschlagnahmt. Zudem sei sie zuvor zweimal bei Protesten festgenommen worden, bei einer erneuten Festnahme könnten ihr bis zu fünf Jahre Haft drohen, wie sie berichtet.
"Nicht jeder kann es sich leisten, zu protestieren"
"Nicht jeder in Russland kann es sich leisten, zu protestieren, nicht jeder ist bereit, unter seinem eigenen Namen zu sprechen", sagt Alisa. Deswegen könnten die Mitglieder der Bewegung wählen, woran sie teilnehmen möchten. Es gebe keine Anführer:innen in der Bewegung, sie sei horizontal organisiert, damit sie nicht zerstört werden könne. Die Mitglieder der Bewegung führen auch Aktionen im Ausland durch, das Manifest wurde in 20 Sprachen übersetzt. Der Telegram-Kanal der Bewegung hat fast 25.000 Abonnent:innen, aber viel mehr Unterstützer:innen, glaubt Alisa. Wer genau an der Bewegung beteiligt ist, kann sie nicht sagen, aber nach ihrem persönlichen Empfinden sind die meisten Frauen zwischen 20 und 35 Jahren.
Laut offiziellen Umfragen unterstützen junge Menschen Russlands "Militäroperation" in der Ukraine weniger als ältere Menschen, und bei Frauen ist diese Unterstützung geringer als bei Männern. Umfragen dieser Organisationen aber zeigen, dass generell 65 bis 70 Prozent der Russ:innen die "Militäroperation" unterstützen.
Die Soziologin Elena Konewa vom unabhängigen Projekt "Athena" hält diese Daten für falsch und schädlich: "Die Leute wurden nicht nach dem Krieg, sondern nach der Militäroperation gefragt, das scheint die Wahrnehmung aufzuweichen, außerdem haben viele Angst, anders zu antworten." Eine von ihr durchgeführte Umfrage ergab, dass 58 Prozent der Russ:innen die "Operation" unterstützen, und 23 Prozent dagegen sind.
Die eigenen Ergebnisse erklärt sie mit der Effektivität der Propaganda und der Einschüchterung der Menschen: "Es gibt einen militaristischen Kern: Das sind diejenigen, die antworten, dass die Russen in der Ukraine angefeindet werden und die Operation dennoch unterstützen." In Russland gebe es 20 bis 25 Prozent solcher Menschen. Der Rest sei eingeschüchtert und zweifele. Laut der Soziologin hören diejenigen, die Telefonbefragungen durchführen, immer häufiger von Befragten: "Werden Sie jemandem sagen, was ich geantwortet habe? Werde ich deswegen verhaftet?"
"In Russland werden seit Jahren Proteste unterdrückt, Menschen eingeschüchtert, viele sitzen im Gefängnis, deshalb ist es unmöglich, hier Millionen Menschen auf die Straße zu bringen", erzählt Alisa. Feministinnen hätten jahrelang horizontale Netzwerke aufgebaut, um Gewalt zu bekämpfen, deswegen seien sie jetzt so sichtbar. Alisa schätzt, dass etwa die Hälfte der feministischen Aktivistinnen Russland verlassen hat. Sie selbst wird kein Asyl in einem neuen Land beantragen, weil sie nach Russland zurückkehren möchte, wenn das "Regime zusammenbricht", wie sie sagt.
Für einige Aktivisten ist es von grundlegender Bedeutung, auch unter Androhung einer langen Haftstrafe in Russland zu bleiben und dort einen Partisanenkampf zu führen. Alisa hat eine andere Position, aber sie gibt zu, dass nicht "ganz Russland Russland verlassen" kann. Ihre Eltern leben noch dort. Sie sprechen aber nicht mit ihr, auch weil sie Putins Politik und seinen Krieg in der Ukraine unterstützen.