Bleich streicht sich Ina Osadschuk über den Bauch. Der Schwangeren geht es nicht gut. Die verstörenden Nachrichten von Flucht und Tod aus ihrer Heimat haben der 30-jährigen Ukrainerin zugesetzt. Ein Lichtblick: Sie, ihr Mann Waldemar (28) und einige nahe Verwandte sind vor dem Krieg in ihrer Heimat in Sicherheit.
"Sie alle schauen ständig Nachrichten im Fernsehen, und sie sitzen da und weinen", sagt Olga Reiter. Die 45-Jährige und ihr Mann Andreas (46) aus Harthausen bei Speyer haben zwei befreundete ukrainische Familien in ihrem Haus aufgenommen. Mit der schwangeren Ina musste Olga Reiter wegen stressbedingter Gesundheitsprobleme zum Arzt gehen.
Die Reiters gehören einer evangelischen Freikirche in Speyer an, die Kontakte zu Kirchengemeinden in der Ukraine unterhält: Mit Bussen wurden Flüchtlinge an der polnischen Grenze abgeholt und nach Speyer gebracht. Darunter waren Inas Schwägerin, deren kleine Tochter sowie die Schwester der Schwägerin. Sie stammen aus der Stadt Kowel, nahe Belarus.
"Wir sind Christen, wir müssen einfach etwas tun", sagt Olga Reiter. In ihrem Garten spielen ihre eigenen fünf Kinder mit Flüchtlingskindern, die den nicht weit entfernten Krieg einen Moment zu vergessen scheinen. Eine weitere ukrainische Familie ist an diesem Tag zu Besuch. Mit ernsten Mienen sprechen sich die Erwachsenen gegenseitig Mut zu.
Glück im Unglück haben die Schwangere Ina, ihr Mann Waldemar sowie dessen Bruder Igor Osadschuk: Die drei waren bei den Reiters in Harthausen zu Besuch, als Putins Truppen die Ukraine überfielen. Erst nach mehreren Anläufen sei seinen Familienmitgliedern mit dem Auto die Flucht zur Grenze gelungen, erzählt der 34-jährige Igor, ein stämmiger Mann, der auf dem Bau arbeitete.
"Bibel verbietet Waffengebrauch"
Wie es nun weitergehen soll in Deutschland, ob und wann er mit seiner Familie wieder in die Ukraine zurückkehren kann, weiß Igor nicht: "Ich möchte arbeiten." Die Ukrainer hätten im Krieg gegen Russland, "eine Chance", ihre Freiheit zu verteidigen, ist er überzeugt. Doch selbst zur Waffe greifen will der gläubige Christ nicht: "Die Bibel verbietet den Waffengebrauch", sagt Igor. Irgendwann werde alles gut. "Gott macht das", sagt der Ukrainer.
Die beiden Familien Osadschuk könnten so lange unter dem Dach ihres Hauses bleiben, wie es nötig sei, versichert das Ehepaar Reiter. Gemeinsam werde der "Papierkram" mit den Behörden erledigt, sagt Olga Reiter. Die Wohnräume teile man, koche und lebe auf engem Raum miteinander. "Wir werfen alles zusammen in einen Topf", beschreibt die Gastgeberin die Lebensverhältnisse in ihrem Haus und versucht ein Lächeln.
Unterstützung ist allen Privatleuten, die ukrainische Flüchtlinge aufnehmen, gewiss, betont Helmut Guggemos, der Integrationsbeauftragte der pfälzischen Landeskirche und ihrer Diakonie. Die Kommunen stellten finanzielle Mittel bereit. Die Diakonie biete den Neuankömmlingen in ihren Beratungsstellen ihre Hilfe an, vermittle in Sprachkurse und begleite ehrenamtliche Helfer.
Jetzt gelte es, den oft traumatisierten Kriegsflüchtlingen bei der Ankunft in Deutschland zu helfen, appelliert Guggemos. "Sie müssen erst einmal zur Ruhe kommen." Wichtig sei es, dass auch Kirchengemeinden "eine Begrüßungskultur leben" und damit anderen Menschen ein Vorbild gäben, sagt der Integrationsbeauftragte. Kirchengemeinden könnten etwa Unterbringungsmöglichkeiten bereitstellen.
"Wir müssen bereit sein, zu teilen", sagt Guggemos. Nötig seien nun mehr Sprachkurse für ukrainische Flüchtlinge, der Zugang für Kinder zu den Schulen und Kindergärten sei offen. Guggemos hofft, dass die große Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung anhält und sie auch Geflüchteten aus anderen Weltregionen gilt.
Die Osadschuks, die bei ihren Freunden aus der Pfalz eine Unterkunft gefunden haben, hoffen und beten nun für Frieden. Zurück in die Ukraine wollen sie, sobald es geht: "Die Ukraine ist unsere Heimat", sagt Igor Osadschuk. Ob seine Schwägerin Ina ihr Kind in der Fremde zur Welt bringt, steht in den Sternen.