Beim Betreten des Berliner Hauptbahnhofs sind die blau-gelben ukrainischen Flaggen nicht zu übersehen. An Werbetafeln, als Wegweiser und um die Hüfte von Helferinnen und Helfern - der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland ist in Berlin angekommen. Mit Zügen, unter anderem aus Warschau und Frankfurt an der Oder, kommen flüchtende Menschen seit einigen Tagen in die Hauptstadt. Wie viele andere Freiwillige schlüpft auch die 27 Jahre alte Russin Aygul Shakirova in ihre gelbe Weste, die sie als Helferin erkennbar macht. "Ich bin hier hergekommen, weil ich die Situation einfach nicht mehr ertragen habe", erzählt sie. Sie könne nicht einfach nur immer weiter Inhalte auf Instagram teilen, sie müsse mehr tun, sagt sie.
Auf den Bahnsteigen des Berliner Hauptbahnhofs haben die zahlreichen Helferinnen und Helfer Infostände, Bierzeltgarnituren und lange Tische mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln aufgebaut. "Eigentlich alle von uns sind privat hier", sagte Pascal Idris, der in einer orangenen Weste als Koordinator am Bahnhof im Einsatz ist. Mehr als 120 Menschen seien am Mittwoch zum Helfen gekommen, schätzt Idris. Eigentlich habe er Sprachunterricht, er könne aber nicht hingehen, es gebe zu viel zu tun. Immer wieder erreichten neue Flüchtlinge die provisorisch errichtete Aufnahmestelle. Allein an diesem Tag schätzt er ihre Zahl auf 600 bis 1.000 Personen. "So genau kann man das aber nicht sagen", meint Idris.
Unter den Flüchtlingen seien nicht nur Ukrainerinnen und Ukrainer, auch Austauschstudenten und Touristen seien unter den Menschen, die aus Kiew am Berliner Hauptbahnhof ankämen. "Sie haben alle erstmal Angst, wissen nicht, wo sie schlafen können, wo sie etwas zu essen bekommen", berichtet Idris. Er hoffe, dass sich diese Angst in den Tagen nach ihrer Ankunft ein wenig lege. "Viele der Menschen wollen erstmal hier in Deutschland bleiben und das empfehlen wir auch."
Verzweiflung überschattet Angst
Bevor sich Shakirova auf den Weg zum Hauptbahnhof machte, habe ihr Freund sie gewarnt. "Er hat gesagt, dass ich mir darüber bewusst sein muss, dass das emotional schwer sein könnte." Auch eine Freundin der Studentin sei am Samstag aus Kiew geflohen. "Die Leute sind wie im Nebel, wenn sie hier ankommen", so der Eindruck von Shakirova. Es wirke, als hätten sie keine Angst. "Sie sind einfach nur verzweifelt, haben alles verloren und wollen wieder zurück zu ihrer Familie."
Viele der Helferinnen und Helfer sprechen mehrere Sprachen. Welche genau, ist dem Klebeband auf ihren Westen zu entnehmen. "Meine Aufgabe wird es jetzt aber erstmal nicht sein, mit den Menschen hier ins Gespräch zu kommen", sagt Shakirova, kurz nachdem sie erste Instruktionen von anderen Helferinnen und Helfern bekommen hat. "Die Menschen kommen hier her, wollen erstmal etwas essen, etwas trinken und auf die Toilette. Anschließend zeige ich ihnen hier alles und helfe ihnen dabei, Tickets zu kaufen, die sie dann weiterbringen", sagt die 27-Jährige.
Die Hilfsbereitschaft sei sehr groß, berichten Idris und Shakirova. "Neben den Helferinnen und Helfern hier im Bahnhof gibt es viele, die Menschen mit ihren Autos irgendwo hinfahren oder anders helfen", sagt Idris. Aus privaten Mitteln würden Lebensmittel gekauft. Die Organisation laufe vor allem über den Messengerdienst Telegram, über den offene Gruppen eingerichtet wurden. Dort können sich Hilfsbedürftige melden. "Darüber habe ich, kurz bevor ich zum Bahnhof loswollte, gelesen, dass vegane Sandwiches benötigt werden", erzählt Shakirova.
Beim ersten Bäcker in ihrer Straße habe sie deshalb gleich alle Sandwiches bestellt, die es dort noch gab. "Die Bäckerin hat mich gefragt, ob ich denn so viel essen könne." Als sie der Frau erklärt habe, dass sie auf dem Weg zum Bahnhof sei, habe diese alles eingepackt und ihr umsonst mitgegeben. "Das sagt viel, finde ich", sagt die Helferin.