Gotteshaus
© Arnd Bäucker
In der Lutherstraße in Kiew steht ein Gotteshaus im klassizistischen Stil, gelb und weiß: Sankt Katharina, die Kirche der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Gemeinde in Kiew.
Evangelische Diasporagemeinde
Zu Besuch in der Lutherstraße von Kiew
Die Ukraine ist ein Land, das gesellschaftlich immer noch von der Sowjetzeit und religiös von der
orthodoxen Kirche geprägt ist. Evangelische Gemeinden leben in einer Diasporasituation. Dass es
dort aber sehr lebendig zugehen kann, zeigt die lutherische Gemeinde in Kiew.

Dieser Artikel von Arnd Bäuker ist ein Beitrag unseres Kooperationspartners  Evangelisches Medienhaus Stuttgart und wurde bereits am 10. Januar 2022 -  also vor den russischen Angriffen auf die Ukraine - im Evangelischen Gemeindeblatt für Württemberg veröffentlicht.

Erstaunlich, dass es so etwas hier gibt: Eine "Ljuteranska," zu deutsch: eine Lutherstraße. Im Herzen von Kiew, der Hauptstadt der Ukraine, verläuft die nach dem Reformator benannte Straße nur ein paar hundert Meter vom Präsidentenpalast entfernt. Und da steht auch die dazu passende Kirche, ein Gotteshaus im klassizistischen Stil, gelb und weiß: Sankt Katharina, die Kirche der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Gemeinde in Kiew.

Gebaut wurde sie 1857, zu einer Zeit, in der die Lutheraner im Zarenreich Russland noch zahlreicher waren. Hausherr heute ist Pastor Matthias Lasi. Ein Württemberger, geboren in Holzgerlingen. Er verrichtet diesen Dienst als EKD-Auslandspfarrer für sechs Jahre. Seit 2018 ist er nun schon in der Ukraine, eine Erfahrung, die ihn um viele interessante Eindrücke bereichert: "Hier lebt man geradezu in einer anderen Kultur", meint er.

Denn die Lutheraner in Kiew sind eine Diasporagemeinde, in einer Gesellschaft, die immer noch geprägt ist von 70 Jahren Sowjetzeit. Religiös steht sie ganz im Zeichen der orthodoxen Kirche. Unübersehbar sind in der Stadt die vielen goldenen Kuppeln der orthodoxen Gotteshäuser und Klöster. "Bei uns in der evangelischen Gemeinde muss man sich anmelden, um dazuzugehören", sagt Lasi. Auf dem Papier hat sie rund 300 Mitglieder. Vor Corona kamen gut 80 Menschen zum sonntäglichen Gottesdienst, jetzt um die 50. Das Einzugsgebiet ist groß. "Manche fahren über eine Stunde, um zu uns in die Kirche zu kommen."

Viele mit deutschen Wurzeln 

Positiv verbucht Lasi noch eine andere Zahl: "Dieses Jahr hatten wir immerhin 18 Konfirmanden." Meistens sind das nicht Jugendliche, sondern jüngere Erwachsene, die sich zu diesem Schritt entschließen: ein klares Bekenntnis zum evangelischen Glauben. Der Pfarrer sieht darin einen "großen Segen für unsere Gemeinde". Der Gottesdienst ist zweisprachig. Lasi predigt in Deutsch, der Inhalt wird in Intervallen ins Ukrainische übersetzt. Die lutherische Liturgie,
meist gesungen, erklingt ebenfalls in Deutsch. "Die meisten Gemeindemitglieder sind Ukrainer mit deutschen Wurzeln", berichtet der Pfarrer. 

Daneben hat sich ein Gemeindeleben mit beachtlichen Aktivitäten entwickelt. Es gibt einen Chor, eine Kinderkirche, einen Jugendkreis, Seniorennachmittage, Bibelstunden, Deutschkurse. "In den Bibelstunden erlebe ich sehr interessierte Mitglieder", sagt Lasi. "Da gibt es einige, die kennen die Heilige Schrift genau, haben sie ein bis zwei Mal ganz durchgelesen." Es käme zu spannenden Dialogen. "Ich weise darauf hin, dass man auch über die Inhalte mal nachdenken darf. Ich bekomme aber auch kritische Fragen an die Adresse unserer westlichen Kirchen zu hören. Zum Beispiel: Warum gibt es bei euch Pfarrerinnen?"

Pastor Matthias Lasi bei seiner Arbeit in der lutherischen Gemeinde in Kiew.

Den Umgang mit einer anderen Mentalität hat Lasi als größte Herausforderung für seine Tätigkeit empfunden. Den Theologen, der in Tübingen studiert hat, hat schon immer die Frage umgetrieben, wie Glaube in einem anderen Umfeld gedacht und gelebt werden kann. "Man ist schnell in der Gefahr, hier als besserwisserisch zu gelten", hat er beobachtet. Wichtig sei aber auch, die eigene Haltung nicht zu verleugnen. Er fasst seine Position zusammen: "Wir wissen es anders, aber nicht besser."

Auch sozial bewegen die Lutheraner in der Lutherstraße einiges. So organisierten sie einen Umschlagplatz für eine Spendenaktion der Corona-
Hilfe, die von unterschiedlichen Organisationen in Deutschland ausging. Mehr als drei Tonnen Lebensmittel wurden zeitweilig im Kirchengebäude zwischengelagert.

In der gesamten Ukraine, sagt Lasi, gibt es nur noch 17 deutsche lutherische Gemeinden, und seine in Kiew sei vermutlich die zahlenmäßig größte. Der Bischof hat seinen Sitz in Charkiw, der zweitgrößten Stadt des Landes im Osten, nahe der russischen Grenze. 

Es sei bemerkenswert, dass die Lutheraner als eine Minderheitenkirche beachtet werden. Zum ukrainischen Unabhängigkeitstag – am 31. August wurde das 30-Jahre-Jubiläum begangen – waren sie aufgefordert, an einem Programm mit anderen Minderheiten teilzunehmen. "Unser Chor trat da auf, er hat deutsche Volkslieder gesungen, das kam gut an." Das Miteinander mit den Teilnehmern anderer Minderheiten "habe ich als sehr wohltuend und positiv erlebt", sagt Matthias Lasi. Die positive Resonanz in der Öffentlichkeit war Werbung für seine Kirche: "St. Katharina ist für die Menschen in Kiew ein Begriff."