Präsident Wladimir Putin und die orthodoxe Kirche pflegten öffentlich ein gutes Verhältnis, sagte die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) dem Evangelischen Pressedienst (epd). Entsprechend könnte diese mäßigend auf Putin einwirken. Darauf sollten die Konferenz Europäischer Kirchen und der Ökumenische Rat der Kirchen die orthodoxe Kirche mit Nachdruck hinweisen. "Das erwarte ich schon lange. Sonst sind alle ökumenischen Gespräche doch nur Schönwetter-Fantasien."
Die frühere hannoversche Landesbischöfin rief die Kirchengemeinden dazu auf, sich an Friedensgebeten und Friedensdemonstrationen für die Ukraine zu beteiligen. Symbole der Solidarität könnten helfen - etwa eine Kerze ins Fenster zu stellen oder orange Kleidung zu tragen in Erinnerung an die orangefarbene Revolution von 2004. "Ich weiß, das klingt für manche hilflos. Aber ich bin zutiefst überzeugt, dass Friedensgebete und Zeichen der Solidarität etwas verändern können."
Die genannten Rituale und Gebete könnten auch Kindern einen Weg zeigen, mit der eigenen Angst und Ohnmacht umzugehen, sagte die Theologin. Sie rät Eltern, offen mit ihren Kindern über die russischen Aggressionen zu reden, weil sie es ohnehin mitbekämen. Sie könnten sagen: "Auch ich habe Angst. Auch mir tun die Menschen Leid, die brutal der Kriegsmaschinerie eines alternden, egomanen Diktators ausgeliefert werden."
Aus Sicht von Käßmann haben die Kirchengemeinden eine wichtige Funktion bei der zu erwartenden Fluchtbewegung aus der Ukraine. Schon jetzt versuchten Tausende von Menschen, Kiew zu verlassen. Viele weitere würden versuchen, aus der Ukraine zu fliehen. "Wir müssen uns bereit machen, Geflüchtete aufzunehmen." Kirchengemeinden könnten "wie schon 2015 eine wichtige und positive Rolle spielen, ganz praktisch, aber auch was die Stimmung im Land betrifft".
Die Theologin äußerte zudem Mitgefühl für die Bevölkerung in Russland, die unter den Folgen der Großmacht-Fantasien ihres Präsidenten zu leiden haben werde. "Und ich denke auch an die jungen Soldatinnen und Soldaten auf beiden Seiten, die Befehlen gehorchen müssen."