Ihre Idee entstand vor fünf Jahren auf einem Spielplatz in Stuttgart, wo sich die beiden Väter zufällig kennenlernten: Der Betriebswirt Shai Kazav, der aus der israelischen Hafenstadt Haifa stammt und mit einer Deutschen verheiratet ist, und der Künstler Tobias Christ, der mit seiner Familie seit zwölf Jahren die jüdische Tradition lebt. "Schnell merkten wir, dass wir es beide lieben, uns mit der hebräischen Sprache und Versen aus der Heiligen Schrift zu beschäftigen", sagt Shai Kazav. "Dafür schlägt unser Herz."
Vor allem die Schreibkunst des Hebräischen hatte es ihnen angetan. Während ihre Kinder spielten, experimentierten die Väter fortan am Küchentisch mit Kalligraphiefeder, Tinte und Papier. Es brauchte Hunderte Entwürfe, bis sie ihren ganz eigenen Stil gefunden hatten, erinnern sich die beiden. Anfangs versuchte der ehemalige Graffiti-Künstler Tobias Christ sich an Schriftarten mit viel Schwung, "doch Shai brachte mich zur traditionellen Blockschrift zurück", sagt der 40-Jährige mit einem Lachen. Entstanden sei ein minimalistischer und moderner Schriftstil.
Als "Dafna-Calligraphy" verkaufen sie ihre Wortwerke mittlerweile im Internet - darunter auch biblische Segensverse oder den Beginn von Psalm 23 "Der Herr ist mein Hirte". Die Kunden seien Juden ebenso wie Christen, sie stammten hauptsächlich aus Israel, den USA und Deutschland.
Dafna heißt "Gib mir ein Blatt"
"Dafna" sei ein hebräisches Wortspiel und heiße etwa: "Gib mir ein Blatt", erklärt Tobias Christ. Er sitzt mit Kazav in dessen Stuttgarter Wohnung am Esszimmertisch, die beiden Männer trinken Ingwertee. Hinter ihnen hängt an der Wand in hebräischen Buchstaben das jiddische Wort "Tachles", das Kazav besonders gefällt, denn: Ich möchte, dass in diesem Raum auch Tacheles, Klartext, geredet wird."
Kein Federstrich ist ohne Bedeutung. Bei dem hebräischen Wort für Jerusalem, "Jeruschalajim" bestehe der Buchstabe "Schin" aus drei Teilen, drei Jods, erklärt Tobias Christ. Diese könnten für die drei Erzväter stehen, Abraham, Isaak und Jakob, die den Menschen Gott nähergebracht hätten. "Oder - liberaler ausgelegt - könnten sie für die drei Religionen stehen, die in Jerusalem existieren: Judentum, Christentum und Islam", ergänzt Shai Kazav.
Mit der hebräischen Schreibkunst steht das Dafna-Team in einer langen Tradition. Denn es ist etwas zutiefst Jüdisches, sich mit der Schrift und den hebräischen Buchstaben zu beschäftigen: Seit Jahrtausenden schreiben Thora-Schreiber von Hand die heilige Schrift Buchstabe für Buchstabe. "Meine Großeltern kommen aus der Ukraine", erzählt Tobias Christ. In dem kleinen Dorf habe es auch einen Thora-Schreiber, einen Sofer, gegeben, der mit einer Gänsefeder auf echtem Pergament geschrieben habe.
Kunst, die vom Glauben inspiriert ist
Christ, der derzeit mit seinen drei Kindern und seiner Frau in Hayingen auf der Schwäbischen Alb wohnt, träumt davon, eines Tages mit der Familie nach Israel auszuwandern und dort das traditionelle Handwerk des Thora-Schreibers zu erlernen.
Seinen ersten Auftrag als "Sofer" hatte er bereits vor vielen Jahren, wie er erzählt: Für einen Freund in Jerusalem schrieb er einen jüdischen Ehevertrag. Gerade sei er dabei, eine Schriftrolle des biblischen Buches Esther zu illustrieren, die für die jüdischen Purimfeste verwendet werden solle, sagt der Künstler, dessen Kalligraphie, aber auch dessen zahlreiche Gemälde von seinem jüdischen Glauben geprägt sind.
Wichtig ist Christ und Kazav: Alle Wörter ihrer Kalligraphie schreiben sie mit koscherer Tinte, sie enthalten keine tierischen Bestandteile, und sie sind an einem Wochentag und nicht am Sabbat entstanden.
Worte mit tiefer Bedeutung
Laut Kazav sind immer wieder andere Kalligraphien nachgefragt. Als im September 2020 die US-amerikanische jüdische Juristin Ruth Bader Ginsburg starb, hätten viele Menschen aus den Vereinigten Staaten den Bibelvers "Der Gerechtigkeit, der Gerechtigkeit sollst du nachjagen" (5. Mose 16,20) bei ihnen bestellt, weil er auch das Motto der bekannten Richterin und Frauenrechtlerin war.
Natürlich darf auch das hebräische Wort für Frieden, "Schalom", in der Schreibwerkstatt von Christ und Kazav nicht fehlen: Der erste Buchstabe, das Schin, fließt von oben nach unten, so wie auch Gott die Quelle des Friedens sei, erklärt Tobias Christ. Das Lamed, das L, ist mit luftigem, man könnte auch sagen, transzendentem, Federstrich geschrieben, so dass neben dem Schwarz der Tinte auch das Weiß des Blattes hindurch scheint. Und der letzte Buchstabe, das Mem, sieht aus wie ein geschlossener viereckiger Kasten: Dies passe gut, sagt Christ, da die Zahl Vier für das Materielle beziehungsweise die Erde stehe. Und diese brauche dringend Frieden.