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22. Februar, Arte, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Angela Merkel – Im Lauf der Zeit"

Es ist außerordentlich bedauerlich, dass Angela Merkel ihre heitere Seite in der Regel bloß im privaten Kreis zeigt und nur höchst selten vor laufender Kamera. Deshalb wird sie den meisten Menschen als Kanzlerin in Erinnerung bleiben, die auf Herausforderungen mit stoischer Gelassenheit und analytischer Sachlichkeit reagiert. Dieses Bild prägt auch die beiden Interviews, die Torsten Körner mit ihr Anfang Dezember geführt hat. Sie sind das Herzstück seines Dokumentarfilms, der sich wie die meisten Merkel-Porträts daran abarbeitet, mehr über den Menschen hinter der scheinbar unnahbaren Fassade der bislang wichtigsten Weltpolitikerin dieses Jahrhunderts herausfinden zu wollen.

Auch formal scheint sich "Angela Merkel – Im Lauf der Zeit" nicht grundlegend von den vergleichbaren Sendungen der letzten Monate zu unterscheiden: Körners zweiter Merkel-Film nach "Die Unerwartete" (2016 vor dem Hintergrund der sogenannten "Flüchtlingskrise" entstanden) bietet die übliche Mischung aus Archivmaterial und aktuellen Gesprächen.

Allerdings gibt es zwei wesentliche Unterschiede: Dem für seinen herausragenden Dokumentarfilm "Schwarze Adler" (2021) über Diskriminierungen im deutschen Fußball mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnete Autor und Regisseur schwebte ausdrücklich keine "bilanzierende Pflichtübung" vor. Natürlich ist sein Werk trotzdem eine Chronik der Ära Merkel, aber auf Vollständigkeit legt es keinen Wert. Körner will vielmehr "ein Gespür für die Zeitläufte vermitteln, die Merkel geformt haben"; und die sie selbst mitgeformt hat.

Außerdem hat er auf die "üblichen Verdächtigen" verzichtet, also auf treue Parteigänger oder Antipoden und deren erwartbare Aussagen. Stattdessen kommen Menschen zu Wort, die zum Teil tatsächlich überraschende An- und Einsichten beitragen. Dass jemand wie Barack Obama Merkels Persönlichkeit und ihre Bedeutung für die Weltpolitik der vergangenen 16 Jahre klug einzuordnen weiß, war zwar zu erwarten, erweist sich aber als wertvolle Abrundung.

Körner hat sein Porträt in neun Kapitel eingeteilt, deren Titel jeweils auf die Schautafeln alter Kinos montiert wurden; eine kleine Verbeugung vor einem melancholischen Wim-Wenders-Klassiker (1976) über das Sterben der regionalen Filmtheater, bei dem sich Körner auch den Titelzusatz "Im Lauf der Zeit" geborgt hat.

Die einzelnen Themen sind naheliegend: Es geht um die Männer in der CDU, um Merkels Kindheit und Jugend in der Uckermark, um ihr schwärmerisches Verhältnis zu Amerika, um ihren Umgang mit den vielen Krisen, die die Republik während ihrer Amtszeit zu bewältigen hatte; und so erzählt Körner fast zwangsläufig auch die Geschichte des wiedervereinigten Deutschlands. Interessant sind dabei vor allem die Anfangsjahre von Merkels politischer Laufbahn, weil es schon so lange zurückliegt, als Helmut Kohl sie 1991 quasi aus dem Nichts in sein Kabinett holte.

Es ist immer faszinierend zu beobachten, wie sich Menschen verändern, und das nicht nur äußerlich. Frühe Interviews scheinen eine ganz andere Politikerin zu zeigen als spätere Auftritte. Als Bezugspunkt dient Körner eine Ausgabe von Günter Gaus’ legendärer ARD-Reihe "Zur Person" aus dem Jahr 1991. Auf diese Weise bringt er Merkel quasi ins Zwiegespräch mit sich selbst. Diese Momente gehören zu den fesselndsten des Films.

Auf einen Kommentar hat Körner verzichtet. Das Kommentieren besorgen andere, beispielsweise "Fridays for Future"-Aktivistin Luisa Neubauer, die Integrationsbeauftragte Aydan Özo?uz (SPD) oder die Grünen-Politikerin Aminata Touré, die Merkels einstige Worte an späteren Taten messen, etwa als vermeintliche Klima-Kanzlerin oder in der Flüchtlingspolitik, die sich nach ihrem beherzten humanitären Appell im Herbst 2015 ("Wir schaffen das") doch noch der restriktiven Haltung ihrer Partei untergeordnet hat.

Faktisch mag sich Körners Porträt nicht großartig etwa von "Angela Merkel – Frau Bundeskanzlerin" (2021) unterscheiden. Die im Auftrag von RTL produzierte Doku-Reihe bestand allerdings ausschließlich aus Archiv-Material. Der Mehrwert von Körners Film resultiert aus den grundsätzlichen Fragen, mit denen sich die klug ausgewählten Männer und Frauen, allen voran Nico Fried (SZ) und Kristina Dunst (Redaktionsnetzwerk Deutschland), befassen.

Gerade das Kapitel über die Männerrepublik ist in dieser Hinsicht interessant, wenn beispielsweise die frühere britische Regierungschefin Theresa May über die Erwartungen an Politikerinnen spricht oder Ursula von der Leyen die "strategische Geduld" bewundert, mit der ihre einstige Förderin das rücksichtslose und verächtliche Verhalten der Männer in ihrer Partei ertragen habe; Erfahrungen, auf die Merkel sicher gern verzichtet hätte, die ihr später beim Umgang mit Narzissten wie Putin oder Trump aber garantiert sehr nützlich waren.