Jesus erzählte weiter: "Ein Mann hatte zwei Söhne. Der jüngere sagte zum Vater: ‚Vater, gib mir meinen Anteil am Erbe!‘ Da teilte der Vater seinen Besitz unter den Söhnen auf. Ein paar Tage später machte der jüngere Sohn seinen Anteil zu Geld. Dann zog er in ein fernes Land.
Lukas 15,11-13 in der Übersetzung der Basisbibel.
Liebe Familie,
heute fange ich einmal hinten an: Der erste Teil der Wochenaufgabe lautet: Hören Sie sich das ganze Gleichnis vom "Verlorenen Sohn" einmal in Ruhe an, bevor Sie weiterlesen. Ich habe hier nur den Beginn dieser wundervollen Geschichte abgeschrieben, aber Helge Heynold hat den gesamten Text auf seine eindrückliche Art vorgelesen. Klicken Sie also erst einmal auf den Link und gönnen Sie sich das Wiedersehen oder – hören mit einen Text, der immer wieder Neues parat hat, ganz gleich, wie oft man ihn liest oder hört. Also, bitte sehr: Lukas 15,11-32, hier vorgelesen von Helge Heynold. (Und falls Sie gerade keine Möglichkeit zum Zuhören haben, hier der Link zum gesamten Text.)
Konnten Sie beim Zuhören etwas entdecken in dem Text, das Ihnen bislang nicht aufgefallen war? Mir geht es beinahe jedes Mal so, dass ich Neues in dieser so wohlbekannten Geschichte entdecke: sei es, dass der ältere Sohn zu Beginn ebenfalls seinen Anteil am Erbe abbekommt, denn der Vater "teilt seinen Besitz unter seinen Söhnen auf". Oder dass er später seinem Bruder vorwirft, das Geld mit Huren verschwendet zu haben, obwohl er das eigentlich gar nicht wissen kann. Oder dass der jüngere Sohn anscheinend den letzten Satz seiner einstudierten Rede für den Vater weglässt: "Nimm mich als Arbeiter in deinen Dienst." All dies sind Details, die dem Gleichnis eine zusätzliche Farbe geben.
Als ich mir die Geschichte eben vorlesen ließ, ist mir etwas Neues aufgefallen, das ich gern mit Ihnen teilen möchte. Es ist der Satz, den der Vater zu seinem älteren Sohn sagt, als der einfach nicht verstehen kann, warum der Vater für den jüngeren Bruder ein Fest ausrichtet. Der Vater sagt: "Aber jetzt müssen wir doch feiern!" Die Verbindung von "feiern" und "müssen" empfinde ich als ausgesprochen ungewöhnlich und reizvoll. Dass sie mir gleich aufgefallen ist, liegt sicherlich auch daran, dass der Satz in der Lutherbibel ganz anders lautet. Dort sagt der Vater: "Du solltest aber fröhlich und guten Mutes sein." Das klingt viel mehr nach einem Appell unter dem Motto "Komm, hab dich nicht so, gib dir einen Ruck und mach mit!". Aber die Übersetzung der Basisbibel ist näher am griechischen Originaltext. Dort sagt der Vater wörtlich übersetzt: "Sich zu freuen und fröhlich zu sein sind zu tun." Der Vater spricht also keinen Appell aus. Er sagt vielmehr, was die Rückkehr seines jüngeren Sohnes zwangsläufig auslöst. Dass man sich freut und fröhlich ist. Mit anderen Worten: Man kommt um das Feiern nicht herum.
Sicherlich ist mir dieser Satz auch deswegen aufgefallen, weil wir immer noch in einer Zeit leben, in der Feiern als schwierig bis gefährlich gilt. Wer Kontakte zu anderen Menschen reduziert, wird nicht leichtfertig "das gemästete Kalb schlachten" und "Musik und Tanz" organisieren. Gleichzeitig höre ich an den Wochenenden vor meinem Haus meist jugendliche Menschen feiernd durch die Straßen ziehen. Ihr Lachen hallt bis spät in die Nacht durch die Straßen, und ich habe mich schon das eine oder andere Mal darüber geärgert und mich wie der ältere Bruder aus dem Gleichnis gefragt: "Feiern? Echt jetzt?" Mittlerweile habe ich verstanden: Meine Haltung ist die desjenigen, der den Grund nicht versteht oder – schlimmer noch – nicht verstehen will. Und wieder sehe ich eine Verwandtschaft zu dem älteren Sohn, der sich anscheinend lange selbst eingeschränkt hat. Sein Erbteil hat er nicht zu Geld gemacht. Stattdessen ist er vernünftig geblieben und hat den Betrieb zusammengehalten. Er hat nie gefeiert. Er hätte wohl seinen Vater nur bitten müssen, aber er hat es nicht getan. Stattdessen beklagt er sich später, dass sein Vater ihm niemals etwas gegeben hätte. Er hat so sehr die Rolle desjenigen übernommen, der auf der richtigen Seite steht, dass er die andere Seite nicht mehr verstehen kann. Und so kommt es geradezu zwangsläufig dahin, dass er auch den Grund zur Freude nicht mehr nachvollziehen kann.
Die Einsicht, dem älteren Bruder so nah zu sein, ist nicht angenehm. Schließlich empfinde ich ihn auch als Griesgram. Ich will mir darum noch einmal sagen lassen, was der Vater sagt: "Mein liebes Kind, du bist immer bei mir. Und alles, was mir gehört, gehört dir. Aber jetzt müssen wir doch feiern und uns freuen. Denn dein Bruder hier war tot und ist wieder lebendig. Er war verloren und ist wiedergefunden." Ja, ich sollte mich in der Tat nicht darüber ärgern, wenn andere feiern. Es gibt dafür vielleicht einen Grund, der nur mir nicht einleuchtet. Spüren Sie eine ähnliche Nähe zu dem älteren Bruder? Dann lautet unsere gemeinsame Wochenaufgabe, Teil 2: Feiern wir! Geben wir uns der Erkenntnis hin, dass wir nicht drumherum kommen, weil wir allen Grund haben! Welchen Rahmen Sie dafür wählen, liegt bei Ihnen. Zwischen "gemästetem Kalb" und einem schönen Glas Wein ist vieles möglich. Hauptsache, wir tun es in der Gewissheit, dass es dran ist. Echt jetzt!
Ich wünsche Ihnen eine fröhliche Woche!
Ihr Frank Muchlinsky