Schwiegermutter und Schwiegertochter am Strand
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Zuversichtsbrief - Woche 101
Liebe trotz Wenn und Aber
von Frank Muchlinsky
"Bis der Tod uns scheidet" Wer hat es zuerst gesagt? Eine Frau zu ihrer Schwiegermutter. Liebe gehört bedingungslos, meint Frank Muchlinsky in seinem neuen Zuversichsbrief.

Noomi sagte zu Rut: "Schau! Deine Schwägerin ist umgekehrt zu ihrem Volk und zu ihrem Gott. Mach es wie sie: Kehr um!" Aber Rut antwortete: "Schick mich nicht fort! Ich will dich nicht im Stich lassen. Ja, wohin du gehst, dahin gehe auch ich. Und wo du bleibst, da bleibe auch ich. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott! Wo du stirbst, da will auch ich sterben, und da will ich auch begraben sein. Der Herr soll mir antun, was immer er will! Nichts kann mich von dir trennen außer dem Tod." Noomi sah, dass Rut entschlossen war, mit ihr zu ziehen. Da hörte sie auf, es ihr auszureden.

Rut 1,15?18, in der Übersetzung der Basisbibel, hier vorgelesen von Helge Heynold.

Liebe Frauen, liebe alle anderen auch,

lange bevor unsere Landeskirchen überhaupt darüber nachdachten, ob man gleichgeschlechtliche Paare trauen könnte, schaffte es ein wunderschöner Bibelvers, zu einem der beliebtesten Trausprüche zu werden, in dem eine Frau einer anderen ein Versprechen fürs Leben macht. In der Lutherübersetzung klingt er so: "Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden." So oder in Ausschnitten steht er auf vielen Trauurkunden, und ohne den biblischen Zusammenhang würde man nicht unbedingt darauf kommen, dass hier eine Frau zu ihrer Schwiegermutter spricht. Auch der Ausschnitt, den ich oben zitiert habe, macht das noch nicht deutlich, darum nun eine kurze Beschreibung dessen, was bisher geschah:

Eine Hungersnot treibt den Israeliten Elimelech dazu, seine Stadt Betlehem im Gebiet Juda zu verlassen. Mit ihm ziehen seine Frau Noomi und die beiden Söhne. Im Land Moab, auf der gegenüberliegenden Seite des Toten Meeres, lassen sie sich nieder und planen anscheinend, dort zu bleiben, denn die beiden Söhne heiraten einheimische Frauen. Dann stirbt Elimelech, und Noomi bleibt mit ihren beiden Söhnen und den Schwiegertöchtern zurück, was bedeutet, dass immerhin weiterhin für sie gesorgt ist. Als dann noch beide Söhne sterben, wird die Lage wieder prekär für Noomi. Sie hört, dass die Hungersnot in ihrer alten Heimat vorüber ist. Darum macht sie sich auf, wieder nach Juda zu gehen. Ihre beiden Schwiegertöchter Rut und Orpa begleiten sie zunächst, entschlossen, mit nach Juda zu ziehen. Doch Noomi will die beiden zu ihren Müttern zurückschicken. Sie macht ihnen unmissverständlich klar, dass sie von ihr nichts mehr erwarten können. Sie wünscht ihren beiden Schwiegertöchtern, dass Gott ihnen in Moab neue Männer schenkt. Sie selbst hat höchstens noch Zukunft für sich selbst zu bieten, nicht mehr für die beiden anderen Frauen. Es ist eine rührende Szene, und die Frauen weinen aus gutem Grunde laut und viel. Schließlich lässt sich Orpa überzeugen, küsst ihre Schwiegermutter und macht sich auf den Heimweg. Da beginnt unsere Szene.

Noomi ergreift das Wort, und aus ihr sprechen Vernunft und Resignation: "Mach es wie deine Schwägerin. Sei vernünftig, und kümmere dich um dich selbst. Geh!" Und dann folgt der Liebesschwur von Rut: "Ich bin ein Teil deines Lebens und will es bleiben. Uns trennt nichts!" Es ist, wie gesagt, kein Wunder, dass sich so große Worte auch Brautpaare gern in den Mund legen lassen. Liebesschwüre sind aber offensichtlich keine exklusive Sache für zwei Menschen, die einander romantisch lieben. Wir neigen lediglich in Sachen Liebe dazu, sie uns als romantische Zweisamkeit auszumalen. Dabei leben wir alle in den unterschiedlichsten Beziehungen. Manche davon verdienen es, Liebe genannt zu werden. Häufig ist es eine Frage der Verbindlichkeit, die uns eine Beziehung als Liebe empfinden lässt. Schwüre können diese Verbindlichkeit zum Ausdruck bringen. Zumindest können sie ausdrücken, dass die Person, die gerade einen Schwur leistet, in genau diesem Moment sozusagen "von der Ewigkeit ergriffen" ist. Auch Rut kann ja nicht wirklich wissen, ob wirklich erst der Tod die beiden scheiden wird. Das Leben ist viel zu unberechenbar dafür. Aber im Moment dieses Liebesschwurs ist es die reine Wahrheit.

Ein Teil dieser Verbindlichkeit der Liebesbeziehung der beiden Frauen ist die vollkommene Bedingungslosigkeit. Die Zukunft ist für die beiden Frauen ausgesprochen ungewiss, und es trennt sie auch eine Menge: Rut nennt gleich drei Aspekte: Herkunft, Kultur, Religion. Aber in dem Moment, als sie diese trennenden Elemente anspricht, fegt sie sie auch davon: Deine Heimat ist meine, dein Volk ist mein Volk, dein Gott ist mein Gott. Noomi könnte mit Fug und Recht entgegnen: "So einfach ist das nicht!" Aber sie merkt, dass Rut es sich eben nicht zu einfach macht, sondern dass sie um die Schwierigkeiten weiß und mit ihnen umgehen will.

Das ist bedingungslose Liebe! Eine, die um das Trennende weiß und sich bewusst darüber hinwegsetzt. Es ist keine Liebe "ohne Wenn und Aber", denn sie kennt die "Wenns" und die "Abers". Diese Liebe lässt die Einwände aber nicht gelten, sie liebt eben trotzdem. Das ist es, was sie so groß macht, dass es keine Rolle spielt, wer hier wen liebt. So ist auch die Liebe geartet, von der Jesus spricht: Liebe ohne Bedingungen, die Grenzen mit Anlauf überspringt.

Auf einen Punkt möchte ich noch hinweisen: Dieser Liebesschwur wurde nicht am "schönsten Tag des Lebens" geleistet, sondern an einem Tag voller Trauer, Ungewissheit und Abschied. Rut verspricht mit ihren Worten, dass all die Schicksalsschläge, die die Frauen erlebt haben – inklusive derer, die vielleicht noch kommen –, eines nicht schaffen werden: dass die Einsamkeit siegt. Selbst wenn es für die beiden Frauen einfacher wäre, sich allein durchzuschlagen, bleiben sie doch beisammen.

Meine Wochenaufgabe für Sie soll darum diesmal so lauten: Machen Sie mindestens einem geliebten Menschen eine Liebeserklärung! Es muss kein Schwur sein "bis der Tod Sie scheidet". Es reicht, wenn Sie einer Person unmissverständlich deutlich machen, dass sie sie lieben. Das darf die Person sein, mit der Sie ohnehin in einer Liebesbeziehung leben. Aber denken Sie nicht nur romantisch! Genauso gut darf es auch Ihre Schwiegermutter sein. Und wenn Sie jetzt grinsen, haben Sie verstanden, was ich meine.

Ich wünsche Ihnen eine wahrlich schöne Woche!

Ihr Frank Muchlinsky