Der bayerische evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm sieht eine allgemeine Corona-Impfpflicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch kritisch. Für ihn stelle sich die Frage, ob eine mögliche Einführung nicht doch eher kontraproduktiv sei, sagte er am Dienstag im Münchner Presseclub mit Blick auf die Demonstrationen und sogenannten "Spaziergänge" von Gegnern der staatlichen Corona-Maßnahmen. Dennoch sieht er eine moralische Pflicht zur Corona-Impfung. Denn diese sei der Weg raus aus der Pandemie, betonte der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
Bedford-Strohm bekräftigte damit seine Aussagen vom "Sonntags-Stammtisch" des Bayerischen Rundfunks (BR) am Wochenende. Seine Nachfolgerin als EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus oder der Münchner Erzbischof Reinhard Marx dagegen befürworten eine allgemeine Impfpflicht. Bedford-Strohm begründete am Dienstag seine Haltung damit, dass nicht klar sei, ob eine Impfpflicht etwa die Situation an den Krankenhäusern verbessere. Wenn es auf solche Fragen klare Antworten gebe, dann könne er die Hand heben.
Bei seinen Einschätzungen vertraue er Wissenschaftlern, die durch einen langen Prozess der Qualifikation über Dissertation, Habilitation und Professur gegangen seien. Denn er selbst sei kein "Hobby-Wissenschaftler", sagte Bedford-Strohm. Er höre sich auch den Podcast des Virologen Christian Drosten an, "weil der wirklich absolut Kompetenz hat", betonte der Theologe. Drosten sei für ihn glaubwürdig, weil er erkläre, warum sich bestimmte Dinge durch neue Studien nochmal anders darstellten.
Es gebe viele Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen Hemmungen bei der Corona-Impfung hätten, sagte Bedford-Strohm weiter. Er habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass man mit den Menschen reden könne. In der hitzig geführten Debatte zwischen Impfgegnern und -befürwortern rief er daher zum Innehalten auf. Man müsse sich klarmachen, dass der Mensch, dem man da gegenüberstehe, nicht zuerst ein Impfgegner oder -befürworter oder Verrückter ist - sondern ein Mensch, der Ebenbild Gottes sei. Diese Nachsicht soll aber nicht dazu führen, dass man nicht entschieden widerspreche, wenn das Gegenüber Unsinn redet, betonte der Bischof.
Warnung vor falsch verstandenem Freiheitsbegriff
Mit Blick auf Gegner der Corona-Maßnahmen, die zu Tausenden auf die Straße gehen und sich unter anderem für "Freiheit" und gegen eine angebliche "Diktatur" stellen, warnte Bedford-Strohm aber vor einem falsch verstandenen Freiheitsbegriff. Freiheit heiße nicht, dass man die eigene Freiheit gegenüber der Freiheit der anderen so stark wie möglich betonen soll. "Sondern Freiheit heißt, dass du mutig und klar Autoritäten widersprichst, die das Falsche tun, die Unrecht legitimieren etwa." Und es bedeute zugleich, immer den Nächsten im Blick zu haben.
Bei dem Pressegespräch machte Bedford-Strohm nochmals deutlich, dass die Rückkehr zum Atomstrom für ihn keine Option ist. "Es ist absolut nicht akzeptabel, die eine Unverantwortlichkeit mit einer anderen Unverantwortlichkeit zu ersetzen." Man könne nicht einfach die Konsequenzen des eigenen Lebenstils - also in diesem Fall Atommüll - nachfolgenden Generationen zuschieben. Wenn es nach dem Zweiten Weltkrieg ein Wirtschaftswunder gegeben hat, warum sollte das dann nicht mit der Ökologie gelingen, fragte er. Es gebe schließlich einen Diskurs mit vernünftigen Argumenten, die besten Wissenschaftler und eine engagierte Zivilgesellschaft.
Was Bedford-Strohm auch umtreibt, sind die kirchliche Jugendarbeit und die Kirchenaustritte. Am häufigsten würden die jungen Leute aus der Kirche austreten, weil nach Konfirmation und Jugendarbeit erstmal nichts mehr komme, was sie an die Kirche binde. Die Kirche mache auch zu wenig sichtbar, was sie alles mache, bedauerte der Bischof. Die größte Überraschung für ihn beim Engagement seiner Kirche für die Seenotrettung im Mittelmeer sei gewesen, dass es einen "Lovestorm" von jungen Leuten gegeben habe. Kein kritisches Wort sei von ihnen gekommen, im Gegensatz zum "Shitstorm" der älteren Generation.