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3. Januar, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Oskar, das Schlitzohr und Fanny Supergirl"
"Anders normal" ist eine sympathische Umschreibung für eine Tatsache, die sich im Alltag oft bedeutend weniger freundlich anfühlt. Gerade Kinder werden im Spielfilm gern nicht nur als "besonders begabt", sondern auch als die besseren Menschen dargestellt.

Das ist in der Tragikomödie "Oskar, das Schlitzohr und Fanny Supergirl" ganz ähnlich, aber Drehbuchautorin Silke Steiner verhehlt nicht, welche Herausforderung das Leben mit einem Mädchen wie der achtjährigen Fanny darstellt: Sie mag es gar nicht, wenn die gewohnte Routine durcheinandergerät. Fremden misstraut sie grundsätzlich, auf Berührungen reagiert sie mit Schreianfällen, und wenn die Dinge aus ihrer Sicht aus dem Ruder laufen, verkriecht sie sich unter ihre Matratze. Kein Wunder, dass ihre Mutter Tilda (Chiara Schoras) mit den Nerven am Ende ist. Als Belastung erweist sich vor allem der Druck von außen: Weil Fanny auch im Unterricht viel Aufmerksamkeit braucht, ist sie für die anderen Eltern (repräsentiert durch Gesine Cukrowski) bloß Sand im Getriebe, der das Lerntempo ihrer Kinder blockiert. Dass Fanny seit dem vorletzten Karneval nur noch in einem Supergirl-Kostüm zur Schule kommt, tut ihrem Status innerhalb der Klasse auch nicht gerade gut. Das Mädchen ist zwar kein "Systemsprenger", aber zumindest aus Sicht seiner Umgebung ein Fehler im System. 

Das ist zwar ein veritabler Dramenstoff, aber noch keine Geschichte, doch es gibt ja noch eine zweite Titelfigur. Die Bezeichnung "Schlitzohr" mag zwar zutreffen, weckt aber auch unangenehme Erinnerungen an jene Zeit, als sich Dieter Hallervorden durch die Comedy-Reihe "Nonstop Nonsens" (1975-1980) und Kinoklamotten wie die "Didi"-Reihe (1984-1988) blödelte. Zum Glück sind die Befürchtungen unbegründet, selbst wenn der wegen Unterschlagung zu einer Gefängnisstrafe verurteilte Oskar anfangs in der Tat zu entsprechenden Assoziationen einlädt. Das ändert sich, als er nach der Haftentlassung auf Fanny trifft. Tilda hat schon vor Jahren jeden Kontakt zu ihrem Vater abgebrochen, deshalb wusste ihre Tochter nichts von dessen Existenz. Der alte Mann und das Kind finden dennoch rasch einen Draht zueinander, zumal Oskar dem Mädchen völlig vorbehaltlos begegnet. 

Die Idee, dass sich Oskar bei der ersten Begegnung mit Fanny als "Professor Krypton" ausgibt, um das Vertrauen des Mädchens zu gewinnen – Krypton ist der Heimatplanet von Superman und seiner Cousine –, scheint auf den ersten Blick dem Rollenprofil des Hochstaplers zu entsprechen, ist in Wirklichkeit jedoch Ausdruck seiner Empathie. Tatsächlich wird Oskar erst durch die Freundschaft zur positiven Figur; bis dahin tritt er in erster Linie als Großkotz auf. So jedoch avanciert er in gleich mehrfacher Hinsicht zum Retter in höchster Not: Tilda, deren Dasein seit acht Jahren einzig und allein auf die Tochter ausgerichtet ist, möchte gern in ihren Beruf zurückkehren  und eine mehrtätige Fortbildung besuchen. Weil Ehemann Christian (Bernhard Piesk) zu einer Konferenz muss, vertrauen sie Fanny ihrem Großvater an. Fanny möchte gern an einer Talentshow ihrer Schule teilnehmen. Kein Problem, sagt Oskar, und erinnert sich an "Rain Man", den Autismusklassiker von Barry Levinson (1988): Er ist überzeugt, dass Fanny über eine Inselbegabung verfügt, aber es entpuppt sich als echte Herausforderung, sie zu finden. Doch wenn es dem Mädchen nicht gelingt, das Publikum zu beeindrucken, wird es endgültig zum Gespött der ganzen Schule. 

Die Handlung hat zwar die eine oder andere Überraschung zu bieten, ist im Grunde jedoch überschaubar. Sehenswert ist "Oskar, das Schlitzohr und Fanny Supergirl" daher vor allem wegen des Zusammenspiels zwischen Hallervorden und seiner jungen Filmpartnerin. Spätestens seit "Honig im Kopf" (2014) ist bekannt, wie gut der erfahrene Schauspieler vor der Kamera mit Kindern und Jugendlichen klarkommt. Davon lebte auch das Pferdekinodrama "Rock My Heart – Mein wildes Herz" (2017; für die TV-Ausstrahlung in "Mein wildes Herz – Alles auf Sieg" umbenannt) mit Lena Klenke als herzkranker Teenager. Die ZDF-Komödie "Mein Freund, das Ekel" (2019) wie auch die gleichnamige Serie (2021) hatten einige ihrer stärksten Momente ebenfalls in den Szenen mit den Kindern. Hallervorden darf als Hochstapler zwar in verschiedene Rollen schlüpfen, in denen er auch mal ein bisschen dick aufträgt, aber am witzigsten ist er immer dann, wenn er ganz sparsam agiert und beispielsweise zur Morgenstund’, als Fanny ihn allzu früh aus dem Bett geholt hat, zerknittert dreinschaut wie ein Uhu zur Mittagszeit. Mindestens so eindrucksvoll wie der altgediente Komödiant ist Julia Kovacs, zumal sie nicht wie ein typisches Filmkind agiert, sondern oftmals nur mit den Augen spielt; die Führung seiner jungen Hauptdarstellerin ist Markus Herling außerordentlich gut gelungen. Der Regisseur hat bereits aus Steiners Drehbuch zu "Opa wird Papa" (2018, mit Ernst Stötzner als 62jährigem "jungem" Vater), ebenfalls im Auftrag der ARD-Tochter Degeto, eine sehenswerte Komödie mit Tiefgang gemacht.