Die evangelische Kirche wolle sich hier einbringen und auch "einen Beitrag dazu leisten, dass wir gemeinsam gut durch die Pandemie kommen", sagt der leitende Theologe der Evangelischen Kirche im Rheinland. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) äußert er sich auch zur nordrhein-westfälischen Landtagswahl im Mai und zu den Herausforderungen für die Kirche.
epd: Seit rund drei Wochen ist eine neue Bundesregierung im Amt. Setzt sie die richtigen Ziele?
Thorsten Latzel: Ich freue mich zunächst einmal darüber, wie selbstverständlich der Regierungswechsel vollzogen wurde. Das zeigt, dass wir eine gut funktionierende Demokratie haben. Angela Merkel hat sich als eine Staatsfrau mit einer beeindruckenden Haltung verabschiedet, in der sich für mich ihre protestantische Sicht von Verantwortung widerspiegelt. In der neuen Regierungskoalition sind vor allem die Parteien abgebildet, die von vielen jungen Menschen gewählt wurden. Die Regierung will wichtige Zukunftsthemen offen angehen. Das begrüße ich. Jetzt muss man schauen, wie die Umsetzung gelingt. Wir werden als Kirchen unseren Beitrag dazu leisten, dass es auf einem guten Weg weitergeht und dass wir die großen Aufgaben gemeinsam angehen, ohne Menschen dabei zurückzulassen.
Welche Zukunftsthemen meinen Sie konkret?
Latzel: Es ist vor allem gut, dass die neue Regierung Klimaschutz und Schöpfungsbewahrung sehr hohe Priorität einräumen will. Wir begrüßen auch, dass verstärkt auf die Einhaltung von Menschenrechten geachtet und sichere Zugangswege für Flüchtlinge geschaffen werden sollen. Beim Thema Digitalisierung soll auf ethische Kriterien geachtet und zugleich dafür gesorgt werden, dass wir als EU den Anschluss behalten und nicht von anderen Weltmächten bestimmt werden. Es ist wichtig, dass wir uns weiterhin klar zur EU bekennen und uns als Teil einer größeren Gemeinschaft verstehen, für die wir uns einsetzen. Das alles sind Anliegen, die wir als evangelische Kirche unterstützen.
"Es ist wichtig, dass wir uns weiterhin klar zur EU bekennen und uns als Teil einer größeren Gemeinschaft verstehen"
Gibt es Ihrer Ansicht nach Themen, die aktuell vernachlässigt werden und stärkere Beachtung finden sollten?
Latzel: Man kann sich immer mehr wünschen, aber entscheidend ist jetzt erst einmal, wie die Vorhaben zu wichtigen Zukunftsthemen im Einzelnen umgesetzt werden. Wir werden auch darauf schauen, wie mit ethischen Fragen zum Lebensschutz am Anfang und am Ende des Lebens umgegangen wird, ich denke etwa an die Frage des assistierten Suizids. Schöpfungsbewahrung und Mitmenschlichkeit zu stärken, sind für mich dabei wichtige christliche Leitperspektiven.
In Nordrhein-Westfalen finden im Mai Landtagswahlen statt. Welche Themen sind aus Sicht der evangelischen Kirche wichtig?
Latzel: Ein zentrales Thema ist auch hier die Bewahrung der uns anvertrauten Schöpfung: Wie schaffen wir eine ökologische Transformation, die den Ausstieg aus der Braunkohle-Verstromung schafft und den Menschen in den betroffenen Gebieten zugleich weiter Arbeitsplätze bietet? Ganz wesentlich ist zudem die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts: Wir dürfen niemanden zurücklassen oder ausgrenzen. Gerade in der Pandemie hat die goldene Regel der Bergpredigt konkrete Relevanz bekommen: "Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch." Dazu gehört auch die Bekämpfung von Armut. Für junge Menschen ist Bildung elementar, dazu gilt es, digitale Kompetenzen zu stärken.
"Schöpfungsbewahrung und Mitmenschlichkeit zu stärken, sind für mich wichtige christliche Leitperspektiven."
Vor welchen Herausforderungen steht die rheinische Kirche im kommenden Jahr?
Latzel: Auf unserer Landessynode im Januar beschäftigen wir uns schwerpunktmäßig mit dem Thema Seelsorge. Das ist gerade in der Corona-Zeit und nach der Flutkatastrophe im Juli ein zentrales Thema: "Egal wann oder wo in deinem Leben, wir sind für dich da." Sich um die Nöte anderer zu kümmern, seelisch und leiblich, das ist für uns konkrete Nachfolge Christi. Auch die Menschenrechte und der Umgang mit Flüchtlingen bleiben wichtige Themen für uns. Im Blick auf die Schöpfungsbewahrung wollen wir in unserem Bereich konkrete Maßnahmen ergreifen, zum Beispiel durch ein stärker ökologisch ausgerichtetes Gebäudemanagement. Wir stehen zugleich vor der Aufgabe, uns als kleiner werdende Kirche neu aufzustellen. Dabei wollen wir uns weniger um eigene Strukturen kümmern, sondern vor allem für andere da sein. Wir werden auf vielfältige Weise den Kontakt zu den Menschen suchen, auch durch neue Kommunikationswege.
Was sind Ihre persönlichen Wünsche und Hoffnungen für 2022?
Latzel: Meine Hoffnung ist, dass wir als Kirche, als Christinnen und Christen einen Beitrag dazu leisten können, dass wir gemeinsam gut durch die Pandemie kommen und dass wir weniger übereinander als miteinander reden. Im ersten Dreivierteljahr meiner Amtszeit als Präses hatte ich viele intensive und bereichernde Begegnungen mit anderen Menschen. Nach meiner "Sommertour der Hoffnung" in diesem Jahr will ich auch im kommenden Jahr die Hoffnungsgeschichten aus den Gemeinden hören und Menschen stärken, die neue Hoffnung brauchen. Dazu werde ich mich wieder auf den Weg machen. Das hat für mich viel mit unserem Glauben zu tun: sich auf den Weg zum anderen zu machen und unsere Hoffnung auf Gott zu teilen.