Zur Geburt von Jesus Christus kam es so: Seine Mutter Maria war mit Josef verlobt. Sie hatten noch nicht miteinander geschlafen. Da stellte sich heraus, dass Maria schwanger war – aus dem Heiligen Geist. Ihr Mann Josef lebte nach Gottes Willen, aber er wollte Maria nicht bloßstellen. Deshalb wollte er sich von ihr trennen, ohne Aufsehen zu erregen. Dazu war er entschlossen.
Doch im Traum erschien ihm ein Engel des Herrn und sagte: "Josef, du Nachkomme Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen. Denn das Kind, das sie erwartet, ist aus dem Heiligen Geist. Sie wird einen Sohn zur Welt bringen. Dem sollst du den Namen Jesus geben. Denn er wird sein Volk retten: Er befreit es von aller Schuld." Das alles geschah, damit in Erfüllung ging, was der Herr durch den Propheten gesagt hat: "Ihr werdet sehen: Die Jungfrau wird schwanger werden und einen Sohn zur Welt bringen. Dem werden sie den Namen Immanuel geben", das heißt: Gott ist mit uns. Josef wachte auf und tat, was ihm der Engel des Herrn befohlen hatte: Er nahm seine Frau zu sich. Aber er schlief nicht mit Maria, bis sie ihren Sohn zur Welt brachte. Und er gab ihm den Namen Jesus.
Matthäus 1,18–25 in der Übersetzung der Basisbibel, hier gelesen von Helge Heynold.
Liebe Leidgeprüfte,
Heiligabend ist da, und mit ihm die schönste Geschichte der Welt: eine ungewollte Schwangerschaft, eine ungeplante Reise, eine Geburt am Straßenrand, Aufruhr im Himmel, Frieden auf Erden, Hirten, Krippe, Kind! Heiligabend ohne die Geschichte von der Geburt Jesu, wie Lukas sie erzählt, ist wie Dresdner Stollen ohne Rosinen. Einige finden es schön, aber es fehlen Saft und Süße. Trotzdem habe ich heute die Weihnachtsgeschichte für Sie ausgesucht, wie Matthäus sie erzählt. Der Grund ist, dass ich es genieße, Geschichten aus unterschiedlichen Perspektiven zu lesen. Bei Lukas spielt Josef im Grunde genommen keine Rolle. Es braucht ihn lediglich, um die heilige Patchworkfamilie komplett zu machen. In vielen Krippen schaut er ein wenig erschöpft und sieht häufig sehr alt aus.
Dass Josef häufig so alt aussieht, liegt an der Legende, dass seine Ehe mit Maria bereits seine zweite war. Aus der ersten Ehe brachte er die Geschwister Jesu mit, von denen an mehreren Stellen berichtet wird. Die Idee hinter dieser Legende ist, dass man sich Maria eben möglichst "unbefleckt", also jungfräulich, vorstellen wollte, am liebsten ihr ganzes Leben lang. Darum machte man die Geschwister Jesu kurzerhand zu Halbgeschwistern aus Josefs erster Ehe. So konnte man auch gleich erklären, warum der gute Josef nach der Geschichte vom zwölfjährigen Jesus nicht mehr in den Evangelien auftaucht. Er war eben bereits alt und starb irgendwann, was keiner weiteren Erwähnung wert war.
Mit gefällt diese Legende nicht. Sie wirkt mir zu bemüht darum, Marias Heiligkeit durch ihren Verzicht auf Sex zu begründen. Außerdem finde ich es spannender, mir Maria ebenso wie Josef als junge Leute vorzustellen – frisch verlobt und voller Pläne für eine gemeinsame Zukunft. Ich stelle sie mir voller Vorfreude vor und unbeschwert – bis zu dem Tag, an dem der Engel zu Maria kommt und sie aus heiterem Himmel schwanger wird. Im Lukasevangelium wird an keiner Stelle erwähnt, wie Josef darauf reagiert hat. Darum freue ich mich darüber, dass Matthäus diese Lücke füllt. Vor allem mag ich, dass Josef so menschlich reagiert: Er macht sich daran, Maria zu verlassen. Kein "heiliges" Erdulden der Situation, sondern ein verständlicher und überlegter Entschluss.
Josef hat auch seinen Engel verdient. Der erscheint ihm im Traum und klärt die Sache für ihn auf. Kein Seitensprung hat zu dem Kind geführt, sondern der Heilige Geist und Gottes Entschluss, sein Volk und die Welt zu retten. Der Engel überzeugt Josef. Der wacht auf und bleibt bei Maria. Haben die beiden je wieder darüber geredet? Das ist doch sehr wahrscheinlich. Schade, dass es über dieses Gespräch keinen Bericht in den Evangelien gibt. Es würde die schönste Geschichte der Welt noch reicher machen. Andererseits lässt jede Lücke, die die Bibel frei lässt, Raum für unsere eigenen Ideen und Geschichten. Ich stelle mir vor, dass Josef seiner Verlobten von seiner Begegnung mit dem Engel im Traum erzählt hat. Ich stelle mir weiterhin vor, dass Maria ausgesprochen erleichtert war, als sie ihm zuhörte. Nicht allein, weil Josef sie nicht mehr verlassen wollte, sondern auch, weil sie nun endlich jemanden hatte, mit dem sie über ihre Begegnung mit dem Engel sprechen konnte. Vielleicht haben sie sich gegenseitig gefragt: "Wie sah deiner aus?" Vielleicht haben sie am Ende sogar zusammen gelacht – aus Überforderung oder eben aus der Erleichterung heraus, dass sie den Weg nun wirklich zusammen gehen konnten.
Als Wochenaufgabe: Achten Sie beim weihnachtlichen Zusammensein auf die Geschichten, die erzählt werden! Gibt es solche, die immer wieder von derselben Person vorgetragen werden? Dann bitten Sie anschließend jemanden aus der Runde, seine oder ihre Perspektive dieser Geschichte zu erzählen: "Wie hast du das erlebt?"
Ich wünsche Ihnen neugierige Weihnachten!
Ihr Frank Muchlinsky
PS: Am 31. Dezember ist der nächste Zuversichtsbrief dran. Ich werde ihn wie gewohnt bei evangelisch.de veröffentlichen. Allerdings wird es am 31. Dezember leider keinen Versand des Newsletters geben. Darum bitte ich Sie: Gehen Sie am Silvestertag auf diese Seite und holen Sie sich Ihren Zuversichtsbrief direkt ab. Wie gesagt, der Link funktioniert erst ab dem 31. Dezember.