Jesus wollte den Jüngern deutlich machen, dass sie immer beten sollen, ohne darin nachzulassen. Deshalb erzählte er ihnen ein Gleichnis: "In einer Stadt lebte ein Richter. Der hatte keine Achtung vor Gott und nahm auf keinen Menschen Rücksicht. In der gleichen Stadt wohnte auch eine Witwe. Die kam immer wieder zu ihm und sagte: "Verhilf mir zu meinem Recht gegenüber meinem Gegner." Lange Zeit wollte sich der Richter nicht darum kümmern. Doch dann sagte er sich: "Ich habe zwar keine Achtung vor Gott und ich nehme auf keinen Menschen Rücksicht. Aber diese Witwe ist mir lästig. Deshalb will ich ihr zu ihrem Recht verhelfen. Sonst verpasst sie mir am Ende noch einen Schlag ins Gesicht."" Und der Herr fuhr fort: "Hört genau hin, was der ungerechte Richter hier sagt! Wird Gott dann nicht umso mehr denen zu ihrem Recht verhelfen, die er erwählt hat – und die Tag und Nacht zu ihm rufen? Wird er sie etwa lange warten lassen?"
Lukas 18,1-7 in der Übersetzung der Basisbibel, hier vorgelesen von Helge Heynold.
Liebe Leute im Recht,
es geht auf Weihnachten zu, und ich komme in Stimmung, Geschenke zu machen. Darum habe ich für diese Woche eine Bibelstelle für Sie ausgesucht, die mir besonders wertvoll und lieb ist. Wie wohl jeder Mensch habe auch ich erlebt, wie es sich anfühlt, wenn man ungerecht behandelt wird. Es ist ein fürchterliches Gefühl, ein Druck auf der Brust, der nicht aufhören will, weil man sich so ohnmächtig fühlt. Jemand anders hat die Macht, mir zu verweigern, was mir zusteht, und das nutzt er aus.
Es gibt solche Menschen wie diesen Richter aus diesem Gleichnis. Sie haben eine Menge Macht, aber anstatt sich der Verantwortung zu stellen, die ihnen dadurch zufällt, tun sie lieber gar nichts. Im Gleichnis heißt es, der Richter "wollte lange Zeit nicht". Was seine genauen Gründe waren, wird nicht erzählt. Vielleicht hatte er andere Dinge zu tun, die ihm wichtiger waren. Vielleicht war er mit demjenigen befreundet, gegen den er hätte vorgehen müssen. Vielleicht war er generell der Meinung, für Witwen würde ohnehin bereits zu viel getan. Vielleicht war er auch schlicht zu bequem, zu faul, der Frau zu ihrem Recht zu verhelfen. Letztlich spielt es auch keine Rolle, denn was zählt, ist das, was die Witwe tut. Sie kommt wieder und wieder zum Richter und fordert ihr Recht ein, bis der endlich tut, was er längst hätte tun sollen.
Darum will ich auf die Heldin des Gleichnisses schauen. Die Witwe, von der Jesus hier erzählt, leitet so Erstaunliches, dass ich sie mir gern zum Vorbild nehme, nicht nur als Beispiel dafür, wie wir beten sollen. Zunächst einmal setzt sie sich persönlich für ihr Recht ein. Sie überlässt es nicht anderen, auf die sie anschließend schimpfen kann, wenn sie keinen Erfolg haben, sondern sie selbst geht zum Richter und trägt ihren Fall vor. Dadurch zeigt sie Engagement und ebenso Konfliktbereitschaft. Spätestens nach dem ersten Mal, an dem der Richter sie unverrichteter Dinge abziehen lässt, besteht ein Konflikt zwischen den beiden.
Die Witwe wendet sich aber wieder an denselben Richter. Ich weiß nicht, ob sie eine andere Instanz hätte anrufen können, aber das würden bestimmt sehr viele Menschen tun, wenn sie derart abgewiesen werden. Die Witwe aber nimmt den Konflikt auf und konfrontiert den Richter immer wieder mit ihrem Anliegen. Hier kommt zu der Konfliktbereitschaft und dem Engagement hinzu, dass sie dem Richter immer wieder eine Chance gibt, sich zu verändern. Der bleibt bis zum Schluss ein Mann, der keine Achtung vor Gott hat und auf keinen Menschen Rücksicht nimmt, aber immerhin sieht er das ein. Er sagt es selbst von sich. Dann äußert er noch die Befürchtung, sie könnte ihm ins Gesicht schlagen, doch wie wahrscheinlich ist das? Mir erscheint es eher wie eine vorgeschobene Begründung dafür, dass er nun doch tut, was die Witwe zu Recht verlangt.
Diese namenlose Witwe, von der Jesus erzählt, macht mir Mut. Sie weiß, was richtig ist, und sie setzt sich dafür ein. Sie tut es auf direktem Weg und schafft es, sich immer wieder aufzuraffen, obwohl sie ständig Abfuhren bekommt. Sie schafft sie es, mit den andauernden Enttäuschungen umzugehen. Vielleicht ist die Quelle ihrer Standhaftigkeit gerade die Tatsache, dass sie immer wieder denselben Richter bemüht. So kann ihr Gang zum Richter zu einer Art Ritual werden. Ihre Enttäuschung wird dann ein Teil des Rituals, sie gehört dazu. Aber das Ritual wirkt durch den Vollzug auch bereits positiv. Der Gang zum Richter ist das Zeichen dafür, dass die Witwe nicht verstummt. Sie kann sicher sein, dass sie dem Richter zunehmend lästig wird, denn sie bringt ihn dazu, ihr wenigstens zuzuhören.
Gefällt Ihnen mein Geschenk? Das würde mich freuen, denn mich hat diese Geschichte einerseits zum Beten ermutigt, andererseits dazu, Konflikten nicht aus dem Weg zu gehen, sondern sie anzusprechen – wenn es sein muss, immer wieder. Die Enttäuschung ist nicht das Ende der Geschichte. Die Wochenaufgabe können Sie sich darum diesmal aussuchen. Entweder Sie beten um etwas, das Sie eigentlich für aussichtslos halten, oder Sie gehen zu jemandem, mit dem Sie einen ungelösten Konflikt haben. Oder Sie tun beides.
Weiterhin eine gesegnete Adventszeit für Sie!
Ihr Frank Muchlinsky