Spoileralarm! Wenn im Christentum von "Vergeben" die Rede ist, geht es meistens nicht darum, einander einen Seitensprung zu verzeihen – obwohl das am Schluss auch eine Rolle spielt. Aber der Reihe nach. Im Grunde genommen geht es im christlichen Glauben ständig um Vergebung und das von Anfang an. Das liegt an einer Erkenntnis, die nicht nur das Christentum gemacht hat. Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, wird feststellen, dass niemand alles richtig machen kann.
Manchmal kommt man an einen Punkt, an dem man sich zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden muss, von denen keine wirklich gut und richtig ist. Nehmen wir zum Beispiel einen kleinen Handwerksbetrieb, der jemanden entlassen muss, weil sonst die Pleite droht. Der Chef steht vor einer schwierigen Wahl: Entweder entlässt er die junge alleinerziehende Mutter, die noch nicht lange im Betrieb ist – oder den langjährigen Mitarbeiter, der ein Alkoholproblem hat und mit Mitte fünfzig wohl kaum noch Arbeit finden wird. Egal, wie sich der Chef entscheidet: Eine gute Lösung gibt es nicht, der Chef wird in jedem Fall einem anderen schaden. Christlich gesprochen: Er wird Schuld auf sich nehmen. Man muss nicht einmal so dramatische Situationen nehmen. Menschen müssen sich ständig entscheiden, und sehr häufig entscheiden sie sich dabei für den Weg, der es ihnen selbst leichter macht.
Schuld kann einen auffressen
Kein Mensch ist also fähig, ohne Schuld zu leben. Umgekehrt heißt das auch: Jeder Mensch braucht Vergebung, denn sonst würde die Schuld den Menschen auffressen. Wer schon einmal etwas getan hat, das ihn oder sie lange verfolgte, weiß, wovon hier die Rede ist: Schuld ohne Vergebung kann zerstören. Jemandem zu vergeben kann extrem schwer sein. Je größer die Verletzung ist, die man spürt, desto größer wird der innere Widerstand zu vergeben. Auch das ist eine Beobachtung, die jeder Mensch irgendwann einmal macht. Und sich selbst zu vergeben, ist schwer, manchmal noch schwerer, als jemand anderem zu verzeihen. Wer Dinge eigentlich richtig machen will, wer sich um andere kümmert und trotzdem schuldig wird, kann sich selbst oft nicht verzeihen.
Als ob das noch nicht reichen würde, hört es ja nicht auf mit der Schuld. Nur weil jemandem vergeben wurde, heißt das ja nicht, dass er oder sie ab jetzt alles richtig machen würde. Wenn es ganz schlimm kommt, geht es wieder um dieselbe Sache. Immer wieder wird dieselbe Person an einer anderen schuldig.
Gott muss endgültig vergeben
Die Grundidee des Christentums ist darum diese: Es liegt in der menschlichen Natur, gegenüber anderen und gegenüber Gott schuldig zu werden, denn schließlich gibt Gott den Menschen die Gebote, nach denen sie sich richten sollen. Diese Schuld ist wie ein Knäuel, das von den Menschen selbst nicht mehr zu entwirren ist. Das ist auch kein Wunder, denn sie sind ja sozusagen selbst in diesem Knäuel verwickelt. Gott kann jede Schuld verzeihen, aber da die Menschen nicht aufhören mit dem Schuldigwerden, muss Gott den Menschen auf eine absolut endgültige Weise vergeben.
Diese endgültige Vergebung ist nach christlicher Überzeugung dadurch geschehen, dass Gott den Menschen sozusagen die "Chance" gab, das Schlimmste zu tun, das möglich ist. Gott schickte Jesus, seinen einzigen Sohn in die Welt, und die Menschen töteten ihn. Dadurch, dass Gott den Menschen sogar diese Tat vergab, ist den Menschen sozusagen verziehen, dass sie unfähig sind, ohne Schuld zu leben.
Immer wieder verzeihen
Der christliche Glaube denkt die Sache aber noch weiter: Christinnen und Christen können sich so sehr über die Vergebung durch Gott freuen, dass sie selbst viel leichter bereit sind zu vergeben als ohne diese Freude. Darum stehen in der Bibel Aufforderungen, anderen Menschen immer und immer wieder zu verzeihen. Darum stehen dort Sätze wie "Seid aber untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat". (Epheser 4,32)
Christinnen und Christen verstehen sich sozusagen als die Gemeinschaft derer, denen vergeben wurde. Das Kreuz, an dem Jesus starb, ist ihr Zeichen dafür, dass jeder Mensch Vergebung braucht und bekommen hat. Darum ist auch der Anspruch so hoch, anderen zu verzeihen. Womit wir nun bei der Frage angelangt sind, ob man als Christ oder als Christin Untreue und Seitensprünge verzeihen muss. Die Antwort lautet nun natürlich so: Du hast allen Grund dazu, es zumindest zu versuchen.