Im Prozess um die Gewalttat im Potsdamer Oberlinhaus haben mehrere Kolleginnen der Angeklagten deren Aussagen zu einer Überlastung der Belegschaft bestätigt. Ines R. habe ihr von ihren psychischen Problemen erzählt, sagte Kathrin R. vor dem Landgericht Potsdam aus. Sie habe berichtet, dass sie bis zu 14 Tage in Folge mit nur einem freien Tag habe arbeiten müssen.
Überdies habe die Leitung bei Krankheitsfällen Druck auf die Mitarbeitenden ausgeübt. Am ersten Arbeitstag hätten sie zu einem Gespräch über die Gründe ihres Fehlens erscheinen müssen.
Ines R. soll Ende April mit einem Messer in der diakonischen Einrichtung in Potsdam vier schwerstbehinderte Menschen getötet und eine weitere Frau schwer verletzt haben. Die Staatsanwaltschaft geht von einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit aus. (AZ: 21 Ks 6/21).
Angeklagte habe Misstände benannt
Die Psychoanalytikerin, die die Angeklagte von 2009 bis 2018 behandelte, sagte aus, diese habe ihr gegenüber Gewaltfantasien geäußert, die sich gegen die Menschen richteten, die sie im Oberlinhaus betreute. Ihre damalige Klientin habe sich daraufhin selbst bezichtigt, nicht normal zu sein. Die Analytikerin gab zu bedenken, dass Angehörige oder Kinder Menschen an den Rand der Verzweiflung treiben könnten. Die Drohung "Ich könnte dich an die Wand klatschen" mache aber dennoch niemand wahr. Die Analytikerin berichtete überdies von Selbstmordgedanken ihrer damaligen Patientin.
Eine Kollegin der Angeklagten sprach als Zeugin von Personalmangel in Verbindung mit "Vetternwirtschaft" in der diakonischen Einrichtung. "Ich habe gekündigt, weil ich das mit meinem Gewissen nicht mehr vereinbaren konnte", sagte die ehemalige Pflegerin Franziska S. vor dem Landgericht Potsdam aus. Kolleginnen sei verboten worden, mit ihr befreundet zu sein, da sie ebenso wie die Angeklagte Ines R. Missstände benannt habe.
Überlastungsanzeigen ignoriert
Anstatt der nötigen drei habe es in der Zeit vor der Tat häufig nur zwei Pfleger pro Schicht gegeben. Einige Bewohner der Einrichtung hätten daraufhin Tage, mitunter auch Wochen lang im Bett liegen bleiben müssen, da keine Zeit gewesen sei, sie in den Rollstuhl zu setzen. Medizinische Probleme bei Patienten seien von den Verantwortlichen ebenso ignoriert worden wie Überlastungsanzeigen der Mitarbeiter, berichtete die 37-Jährige.
Die zuständige Hausleitung berichtete vor Gericht von guten Leistungen der Angeklagten. Diese habe ihre Arbeit stets gut gemacht, sagte die Leiterin der Einrichtung. Ines R. habe "einen tollen Draht zu den Bewohnern gehabt". Pflege habe ihr gelegen. Deshalb habe sie ihr eine Ausbildung zur professionellen Pflegerin nahegelegt.
Über psychische Erkrankungen der Angeklagten sei nichts bekannt gewesen, sagte die Leiterin des Hauses, in dem es zu der Gewalttat kam. Angesichts der guten Leistungen, und der kreativen Rolle der mutmaßlichen Täterin im Pflege-Team sei sie "schockiert" gewesen.
Der Verteidiger der Angeklagten, Henry Timm, geht davon aus, dass seine Mandantin zum Tatzeitpunkt schuldunfähig war. Ihr Arbeitgeber habe seine Fürsorgepflicht verletzt, indem er nicht auf Krisenanzeichen reagiert habe. Der Prozess soll am 18. November fortgesetzt werden.