Gerade der Widerstand gegen die Wiederaufarbeitungsanlage im oberpfälzischen Wackersdorf ist oft dokumentiert worden: Werke wie „WAAhnsinn – Der Wackersdorf-Film“ (1986), „Spaltprozesse“ (1986) sowie „Restrisiko oder Die Arroganz der Macht“ (1988) setzten den Protesten filmische Denkmäler und hatten in den Programmkinos respektable Zuschauerzahlen.
Gut dreißig Jahre später scheint das Interesse verflogen zu sein. Oliver Haffners Kinofilm „Wackersdorf“ hatte gerade mal gut 125.000 Besucher; das entspricht in etwa der Teilnehmerzahl am „Anti-WAAhnsinns-Festival“ 1986, dem bis dahin größten Rockkonzert in der deutschen Geschichte. Die enttäuschende Resonanz ist typisch für einen Trend, der schon geraume Zeit anhält: Die Gleichgültigkeit des Kinopublikums gegenüber relevanten historischen oder gesellschaftspolitischen Stoffen ist offenkundig. Solche Filme werden zwar noch produziert, aber der Start in ohnehin nur wenigen Kinos verläuft ohne große Überzeugung und praktisch ohne Werbung. Die zwangsläufig niedrigen Besucherzahlen bestätigen dann die pessimistischen Erwartungen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Fairerweise muss man im Fall von „Wackerdorf“ feststellen, dass der Film im Fernsehen sehr gut aufgehoben ist. Das Drehbuch von Gernot Krää, selbst ein vielfach ausgezeichneter Regisseur, und Oliver Haffner rekonstruiert den Sinneswandel des Landrats Hans Schuirer, in dessen Schwandorfer Landkreis eine Wiederaufarbeitungsanlage für abgebrannte Brennstäbe aus deutschen Atomreaktoren errichtet werden soll. Die ostbayerische Region darbt, es fehlen Arbeitsplätze; das Vorhaben der Landesregierung kommt den oberpfälzischen Kommunalpolitikern wie ein Wunder vor. Auch Schuirer, einer der wenigen sozialdemokratischen Landräte im tiefschwarzen Bayern, ist äußerst angetan, zumal der Repräsentant der Deutschen Gesellschaft zur Wiederaufbereitung von Kernbrennstoffen alle Skepsis fortwischt und der Region „Wohlstand und Sicherheit“ verspricht. Zweifel an dem Projekt kommen dem Politiker erst, als sich die Herren in München über geltendes Recht hinwegsetzen, um den Protest gegen die WAA im Keim zu ersticken.
Der von starkem Dialekt geprägte Film lebt über weite Strecken vom Wandel der Hauptfigur und der Beziehung zwischen den beiden von Johannes Zeiler (übrigens Österreicher) und Fabian Hinrichs formidabel verkörperten zentralen Persönlichkeiten: hier der seinem Gewissen verpflichtete knorrige Landrat, ein gelernter Maurer, der sich anfangs von der Euphorie anstecken lässt und später enormes Rückgrat beweist, als ihm die Parteifreunde die Gefolgschaft aufkündigen und Morddrohungen in seinem Briefkasten landen; dort der von Hinrichs als durchaus sympathischer Menschenfänger angelegte Technokrat, dem das Schicksal der Region natürlich völlig gleichgültig ist. Schuirers Auseinandersetzungen mit dem Bürgermeister von Wackersdorf (Johannes Herrschmann), einem alten Freund und Genossen, der schon dabei ist, die erwarteten Einnahmen auszugeben, repräsentieren zudem einen Riss, der sich quer durch die Familien zieht und alte Freundschaften zerstört; ein Aspekt, der dem Film große Aktualität verleiht.
Für weitere zum Teil kleine, aber wichtige Rollen hat Haffner ebenfalls namhafte Darsteller gefunden, darunter Sigi Zimmerschied und August Zirner als Minister sowie Anna Maria Sturm als Gesicht des Widerstands. Eine Schlüsselfigur spielt Peter Jordan als zuständiger Beamter für Bauangelegenheiten, den Schuirer zunächst für einen Strauß-Spitzel hält, bis er sich als Atomkraftgegner offenbart. Als sich auch der Landrat öffentlich gegen die Pläne der Landesregierung stellt, wird er kurzerhand entmachtet; kein Wunder, dass Schuirer die Zustände im Freistaat mit einer Militärdiktatur vergleicht. Nun ergänzt Haffner seinen Film um jene dokumentarischen Bilder, die allen unvergessen sind, die damals jung waren: Polizisten prügeln am Bauzaun hemmungslos auf friedliche Demonstranten ein.
Haffner hat zuletzt „Ein Geschenk der Götter“ gedreht, eine sehenswerte Tragikomödie über eine arbeitslose Bühnendarstellerin (Katharina Marie Schubert), die einen Schauspielkurs mit Langzeitarbeitslosen veranstaltet; der Film hat 2015 die SWR-Reihe „Debüt im Dritten“ eröffnet, war Haffners zweite Regiearbeit und zeichnete sich neben der originellen Geschichte vor allem durch die vorzügliche Arbeit mit dem Ensemble aus. Das gilt auch für „Wackersdorf“. Die Bildgestaltung (Kaspar Kaven) fällt hingegen filmisch kaum aus dem Rahmen eines anspruchsvollen Fernsehfilms, ganz im Gegensatz zur ungewöhnlichen und 2019 mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichneten Musik einer Münchner Combo, die sich „Hochzeitskapelle“ nennt und nach eigener Einschätzung „Rumpeljazz“ spielt. Im Rahmen des Bayerischen Filmpreises gab es 2018 zudem einen Sonderpreis für Haffner. Die Deutsche Film- und Medienbewertung hat „Wackersdorf“ das FBW-Prädikat „Besonders wertvoll“ verliehen.