Mein Frieden, "Friedensharmonie" oder auch "Frieden, Bier und Sonne" - So heißen einige der unzähligen Playlists, die sich unter dem Stichwort "Frieden" beim Musikstreaming-Dienst Spotify finden lassen. Klassiker wie der von Ralph Siegel komponierte Grand-Prix-Hit "Ein bisschen Frieden" von Nicole oder Nenas "99 Luftballons" sind meistens dabei. Aber auch Songs von deutschen Rap-Größen wie Azad und Kool Savas oder US-amerikanischen Rappern wie Eminem und Bands wie den Black Eyed Peas sind gespeichert.
Seitdem es Musik gibt, nehmen Künstlerinnen und Künstler Bezug auf Frieden, wie der Musikwissenschaftler Michael Custodis von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster erklärt. Und das in jedem Genre: Kirchenmusik, Pop, Blues, Metal, Hip Hop. Jede Musik-Generation gehe auf das jeweilige Zeitgeschehen ein, sagt Custodis. Wobei immer wieder diskutiert werde, inwiefern es auch Vermarktungsstrategie sei, auf das Thema "Frieden" aufzuspringen - etwa bei "Ein bisschen Frieden" aus dem Jahr 1982.
Der "King of Pop", Michael Jackson, hat gleich in mehreren Songs dem Bösen in der Welt den Kampf angesagt: "Man In The Mirror", "Heal The World" und "Earth Song". Mit "Man in the Mirror" betont Jackson etwa, dass jeder die Welt zu einem besseren Ort machen und dabei mit sich selbst anfangen solle. Passend zu der Botschaft spendete der Sänger die Einnahmen des Songs.
Botschaft muss direkt sein
Die Scorpions sangen im Jahr nach friedlicher Revolution und Mauerfall vom "Wind of Change" (1990), die Black Eyed Peas klagten in ihrem Hit "Where is the Love?" über Kriminalität und Hunger. Im Musikvideo von 2003 treten Kinder aus unterschiedlichen Nationen auf. Das Motto "Wo ist die Liebe?" mit einem kantigen roten Fragezeichen als Symbol steht im Mittelpunkt des Clips. Popsängerin Pink rechnete 2007 in ihrem Song "Dear Mr. President" mit dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush ab, nahm Bezug auf den Irakkrieg und die gefallenen US-Soldaten.
Die Grenze zwischen Musik und Parolen, etwa auf Demonstrationen, sei oft fließend, sagt Custodis. Für beides gilt: Die Botschaft muss direkt sein. Dafür sei ein Lied ideal. Als Beispiel dafür nennt der Pop-Experte den Song "Give Peace a Chance", der 1969 bei einem sogenannten "Bed-In" von John Lennon und Yoko Ono aufgenommen wurde. Er gilt in der Pophistorie als einer der wichtigsten Friedenssongs und wurde zu einer Hymne der Friedensbewegung der 70er Jahre - neben Lennons Klassiker "Imagine" (1971).
Große Verbreitung - maximale Aufmerksamkeit
Auch Sprechgesänge der Fridays-For-Future-Demonstrierenden wie "Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut" trügen im Kern eine Friedensbotschaft in sich - wenn auch in einer anderen Gestalt als Songs. Der Wissenschaftler betont die "ungeheure emotionale Kraft" von Musik. Durch die große Verbreitung der Musik - früher durchs Radio, heute vermehrt auch auf Social Media - könnten die Künstlerinnen und Künstler maximale Aufmerksamkeit erreichen.
Natürlich riefen umgekehrt auch Interpreten in Songs zu Gewalt und Hass auf, wie Custodis ergänzt, zum Beispiel im Hip Hop. Doch auch hier gebe es inzwischen Künstler wie den jüdischen Rapper Ben Salomo, der mit seinen Songs ein Zeichen gegen Antisemitismus und Homophobie vieler seiner Kolleginnen und Kollegen setze.
In Gottesdiensten, auf Kirchentagen und auch während der jährlichen Ökumenischen Friedensdekade von Kirchen und Friedensgruppen - dieses Jahr zwischen dem 7. und 17. November - steht das Singen von Friedensliedern wie "Hevenu schalom alejchem" traditionell auf der Agenda. "Weil die Sehnsucht danach groß ist, und der Frieden zerbrechlich“, sagt die Landesmusikdirektorin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Christa Kirschbaum. Im Evangelischen Gesangbuch gebe es schon lange die Rubrik "Erhaltung der Schöpfung, Frieden und Gerechtigkeit".
Singen schafft Gemeinschaft
Frieden sei im kirchlichen Gesang immer schon ein zentrales Thema gewesen - sehr unterschiedlich gewichtet je nach zeitgeschichtlichen Erfahrungen etwa im Konfessionenstreit oder zu Zeiten kriegerischer Auseinandersetzungen. Internationaler wurde es seit den 1960er Jahren, als die Kirchen ihre weltweiten Verbindungen ausbauten, wie Kirschbaum erklärt.
Können wir wirklich etwas bewirken, wenn wir vom Frieden singen? Ja, glaubt Kirschbaum: "Wir benennen das Thema, es wird präsent. Singen stärkt uns und schafft Gemeinschaft. Gesungenes wird im Gehirn anders gespeichert als nur Gesprochenes und ist nachhaltiger."
Wenn Menschen darüber hinaus noch über das Gesungene sprächen, dann könne das Singen dieser Lieder bereits eine Art "Friedenstraining" sein, ist sie überzeugt: "Im besten Fall kann es dazu führen, dass wir noch mehr für den Frieden tun und uns auch auf andere Weise engagieren."