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Zuversichtsbrief, Woche 89
Endlich
Macht das Wort "endlich" Hoffnung? Oder ist es ein Ausdruck für Vergänglichkeit und macht traurig? Frank Muchlinsky spürt beidem nach im neuen Zuversichtsbrief.

Wie unerschöpflich ist doch der Reichtum Gottes, wie tief seine Weisheit und Erkenntnis! Wie unergründlich sind seine Entscheidungen und wie unerforschlich seine Wege! Wer kennt die Gedanken des Herrn? Wer ist sein Berater gewesen? Wer hat ihm je etwas gegeben, sodass er es von ihm zurückfordern könnte? Denn alles hat in ihm seinen Ursprung. Durch ihn besteht alles und in ihm hat alles sein Ziel. Denn er regiert in Herrlichkeit für immer. Amen.

Römer 11,33?36 in der Übersetzung der Basisbibel, hier vorgelesen von Helge Heynold.

Liebe Große und Kleine,

woran denken Sie, wenn Sie das Wort „endlich“ lesen? Hat das Wort bei Ihnen eher den Klang von Erlösung? Also: „Endlich“ geschieht etwas, auf das ich schon lange gewartet habe? Oder denken Sie bei diesem Wort daran, dass alles einmal ein Ende haben wird, dass auch unser Leben „endlich“ ist? In diesen Wochen liegen beide Assoziationen nahe. Angesichts der Pandemie sehnen wir uns nach deren Ende. Gleichzeitig geht das Kirchenjahr seinem Ende entgegen, und das Thema Tod schiebt sich in unser Bewusstsein. So traurig das zunächst klingt, so gesund und hilfreich ist es auch für unseren Geist, wenn wir uns immer wieder einmal vor Augen halten, dass unser Leben begrenzt ist.

Unser Geist kann im Angesicht des Todes nämlich ein interessantes Kunststück vollführen. Zunächst kann es geschehen, dass wir uns unbedeutend und klein vorkommen. Wenn doch die Welt sich weiterdrehen wird, wenn wir einmal tot sind, welche Bedeutung hat unser Leben dann gehabt? Andererseits kann man beginnen, die eigene Lebenszeit als wertvoll zu erkennen, gerade weil sie endlich ist. Wenn wir uns gern an etwas erinnern, sind es meistens Augenblicke, nicht längere Perioden. Wir genießen den Moment, weil er gleich wieder vergeht. Und ist er vorbei, seufzen wir, weil er so niemals wiederkommen wird.

Dennoch, wer an den eigenen Tod denkt, kann leicht erschrecken. Da sind das Unbekannte und die Furcht vor dem Nichts, das sich unserer Vorstellung entzieht. Wie soll man sich Nicht-Sein vorstellen? Und wieder kann man sich als klein empfinden. Unausweichlich geht unsere Zeit dahin. Wir können versuchen, unser Leben so zu gestalten, dass es vermutlich länger währt, doch wissen wir alle, dass uns der Tod immer ereilen kann und es einmal auch wird.

Es ist kein Wunder, dass Menschen ausgerechnet in solchen Momenten, in denen sie sich klein und beschränkt empfinden, die Größe Gottes beschreiben und preisen. Anstatt sich ein Nichts auszumalen, kann man schließlich versuchen, sich ein Alles vorzustellen. Anstelle der Zeit kann man die Ewigkeit setzen. Das Fragmentarische wird zum Ganzen. Was verborgen ist, wird offenbar. Selbst das scheinbar Unsinnige wird zu einem guten Ziel geführt. Alles bekommt den Sinn, den man selbst nicht versteht.

Paulus, der sich und seine Theologie in seinem Brief der Gemeinde in Rom vorstellen möchte, schraubt seine Gedanken in den Bibelversen für diese Woche in große Höhen. Er macht Gott und dessen Weisheit immer größer und unermesslicher, indem er Gottes unendliche Weisheit der beschränkten Einsicht des Menschen gegenüberstellt. Und Paulus spielt dabei auf Hiob an, der am Ende seiner Auseinandersetzung mit Gott kapituliert und nur noch die Größe Gottes anerkennen kann. Aber ist es tatsächlich eine Kapitulation? Ich denke, es ist auch im Sinne Hiobs und Pauli, wenn ich schreibe: Vor der Größe Gottes kapituliert man nicht, man verneigt sich vielmehr vor ihr.

Es macht den Glauben aus, dass wir uns gerade nicht selbst verherrlichen und versuchen, uns allmächtig oder gar unendlich zu machen. Das überlassen gläubige Menschen absichtlich Gott und werden im besten Sinne des Wortes demütig. Christinnen und Christen gehen außerdem noch einen Schritt weiter: Durch Jesus Christus sind wir von der Ewigkeit, von dem unbegreiflichen Sinn und von der unendlichen Weisheit Gottes berührt worden. Wir haben etwas abbekommen von Gott. Das ist die Verheißung, mit der wir auf den Tod sehen können: Wir haben bereits etwas von der Unendlichkeit Gottes an uns, das uns selbst der Tod nicht nehmen kann. Ein klitzekleines bisschen von Gottes Ewigkeit haftet an uns – und auch von Gottes Weisheit.

Darum lautet meine Wochenaufgabe: Stellen Sie sich Schnittblumen in die Wohnung und freuen Sie sich an ihnen, bis sie verwelkt sind! Werfen Sie sie nicht zu früh fort! Nehmen Sie den Strauß lieber auseinander und lassen Sie allen einzelnen Blumen die Zeit, die ihnen geschenkt ist. So wird der Strauß immer kleiner und bleibt schön. Freuen Sie sich an der Schönheit des Endlichen, und nehmen Sie ruhig von jeder verwelkten Blume einzeln Abschied.

Gott behüte Sie!

Ihr Frank Muchlinsky