Sie tragen im Gottesdienst Sneakers und Basecaps, treten mit Tattoo am Unterarm und gefärbten Haaren auf und sind in der Gemeinde viel mit ihren Skateboards unterwegs: Die Bremerhavener Christopher Schlicht und Maximilian Bode entsprechen schon äußerlich so gar nicht dem Bild, das viele Menschen von einem evangelischen Pastor haben. Und auch in ihrer Arbeit gehen die beiden jungen Theologen neue Wege, über die sie gerade ein Buch geschrieben haben. Der Titel ist Programm: „Kirchenrebellen - Wir bringen Leben in die Bude.“
Schlicht und Bode sind befreundet und arbeiten im ersten „Teampfarramt“ der hannoverschen Landeskirche, der größten der 20 evangelischen Landeskirche in Deutschland. „Wir haben jeder eine halbe Stelle und ein halbes Gehalt - aber voll Bock“, sagt Max (30), der sich genauso wie Chris (32) mit den Menschen in der Gemeinde duzt. Und es kommt gut an in dem Stadtteil, in dem sie nach Studium und Vikariat vergangenes Jahr ihre erste Stelle angetreten haben.
Die evangelische Emmaus-Gemeinde hat etwas mehr als 2.000 Mitglieder und gehört zum Stadtteil Grünhöfe in Bremerhaven. Das Quartier wird als Brennpunktgemeinde mit hoher Kinderarmut bezeichnet. Kategorien, mit denen Max und Chris wenig anfangen können. „Lebendig wird alles erst durch die Leute, die dort leben“, schreiben sie in ihrem Buch, in dem sie ihre Vorstellung einer Kirche beschreiben, in der sich möglichst viele Menschen wohlfühlen.
Um Kontakt aufzunehmen, wollen sie als Pastoren nicht zu heilig daherkommen. Deshalb tragen sie im Gottesdienst keinen Talar, kein „Batman-Kleid“, wie sie das Ornat selber nennen. Die Orgel spielt selten, dafür ist öfter eine Soulband zu hören. Die Predigten sind kurz, werden frei gehalten und die Gemeinde darf sich in der Kirche und über das Internet einmischen. Statt fremdsprachlicher Lobgesänge gibt es „Fan-Gesänge für Gott“: Eine Person gibt den Takt vor, die Gemeinde antwortet mit voller Power.
„Gottesfeiern mit so viel Gefühl, dass die Leute Pipi in den Augen haben“, beschreibt Chris das, was sie anstreben - und womit sie gute Erfahrungen machen. Denn weil sie selbst mit den Veränderungen anfangen, kommen auch neue Menschen: Leute, die genauso wie Max bunt gefärbte Haare haben, Jogginganzüge und Caps tragen. Empfangen werden sie in einer verständlichen Sprache, denn die Kirche leide unter einer „Polonaise der Uraltworte“, sagen die Rebellen.
Raus aus der Bubble, rein ins Leben: „Nah bei den Menschen zu sein, über alle Generationsgrenzen hinweg, zu experimentieren - das gefällt mir“, sagt Anna-Nicole Heinrich (25), Philosophie-Studentin - und seit Mai Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Sie ist eine der höchsten evangelischen Repräsentantinnen.
Das ist es, was Schlicht und Bode mit der Rückendeckung ihrer Vorgesetzten umsetzen. Deshalb begrüßen sie die Gemeinde in jedem Gottesdienst mit den Worten „Willkommen zu Hause“, wollen Mut machen und Kraft schenken. „Denn das Leben hat echte Scheißzeiten auf Lager.“ Sie wollen dagegenhalten, „der Liebe eine Bühne geben - ein Zuhause für all diejenigen, die auch erleben mussten, dass sie nach Meinung anderer wertlos sind“.
Das tun sie analog und digital, sind auf YouTube, Instagram und TikTok unterwegs. Sie machen einen Podcast unter dem Titel „Liebe, Altaaar“, betreiben auf dem Portal kopphoch.de „Seelenpflege im Stream“. Bei „yeet“, dem Netzwerk evangelischer Influencer, machen sie mit, um bei jungen Menschen Interesse an Themen rund um den Glauben zu wecken.
Die Kirche sei oft zu fokussiert auf althergebrachte Formen, schreibt Chris. „Im Idealfall ist sie so bunt, wie es das Land und die Leute sind.“ Am Ende ihres Buches haben Chris und Max zehn Impulse für alle aufgeschrieben, die etwas ändern wollen. An oberster Stelle steht: „Wenn du nichts riskierst, bleibt alles so, wie es ist.“