Am Abend dieses Tages sagte Jesus zu seinen Jüngern: „Wir wollen ans andere Ufer fahren.“ Sie ließen die Volksmenge zurück und fuhren mit dem Boot los, in dem er saß. Auch andere Boote fuhren mit. Da kam ein starker Sturm auf. Die Wellen schlugen ins Boot hinein, sodass es schon volllief. Jesus schlief hinten im Boot auf einem Kissen. Seine Jünger weckten ihn und riefen: „Lehrer! Macht es dir nichts aus, dass wir untergehen?“ Jesus stand auf, bedrohte den Wind und sagte zum See: „Werde ruhig! Sei still!“ Da legte sich der Wind, und es wurde ganz still. Jesus fragte die Jünger: „Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr immer noch keinen Glauben?“ Aber die Jünger überkam große Furcht. Sie fragten sich: „Wer ist er eigentlich? Sogar der Wind und die Wellen gehorchen ihm!“
Markus 4,35–41 in der Übersetzung der Basisbibel, hier vorgelesen von Helge Heynold.
Liebe Eingerichtete,
es ist Pulloverzeit. Die Ärmel werden länger, die Farben werden röter. Energiekosten spielen eine Rolle, Kaffees werden mit Gewürzen versetzt, mit denen man auch Kürbisse verfeinert. Wir tun eine Menge, um uns einzukuscheln. Es fühlt sich wieder richtig an, mehr Zeit drinnen zu verbringen und die Welt draußen zu lassen mit all ihren Wirren und Viren. Wir machen es uns gemütlich und erzählen einander, was wir draußen so erlebt haben.
Ich habe eine Geschichte dabei, die weit vorn steht im Markusevangelium. Sie spielt zu der Zeit, als Jesus noch in Galiläa umherzieht, um von Gott zu erzählen. Er ist bereits sehr populär, aber noch liegt Jerusalem weit entfernt in der Zukunft. Hier ist Provinz, hier sprechen alle denselben Dialekt. Und Jesus redet. Fast ein ganzes Kapitel lang folgt ein Gleichnis auf das andere. Das Volk hört ihm zu, während er vom Boot aus spricht. Es müssen Gleichnisse sein, sagt Jesus seinen Jüngern, weil die Leute einfach nicht verstehen. Sein innerer Kreis allerdings, der versteht, und darum deutet Jesus ihnen auch die Gleichnisse. Gemütlich ist es im inneren Kreis!
Zum Abschluss des Tages noch eine Bootsfahrt an die andere Seite des Sees Genezareth. Jesus, offensichtlich müde vom vielen Reden, legt sich hin im Heck des Bootes. Da lädt ein Kissen zum Schlafen ein. Vermutlich sind auch die Jünger in einem beglückt dämmerigen Zustand, als plötzlich ein Sturm losbricht. In kurzer Zeit wird aus kuscheligem Miteinander eine lebensbedrohliche Situation. Das Chaos bricht über die kleine Mannschaft herein, und den Jüngern wird angst und bange. Sie tun das, was ihnen am naheliegendsten erscheint: Sie wecken Jesus und machen ihm Vorwürfe, dass er nichts tut. Der wacht auf und stellt wieder Ruhe her, woraufhin die Jünger erneut Furcht überfällt. „Wie um Himmels Willen macht er das?!“ Sie setzen ihre Fahrt fort, und als sie am anderen Ufer anlanden, kommt ihnen übrigens gleich ein Besessener entgegen. Der lebt sozusagen auf dem Friedhof, aber friedlich wird es lange nicht mehr.
Ich mag die Art, wie der Evangelist Markus erzählt. Er hat einen Sinn für Dramatik. Aus der Gemütlichkeit der kleinen Kreise geht es immer weiter hinaus. Aus der Familie wird ein Jüngerkreis, eine Gefolgschaft, aus Nazareth wird Galiläa und schließlich die Metropole Jerusalem. Immer mehr Leute wollen etwas von Jesus, immer gefährlicher wird die Mission. Darum finde ich es so bemerkenswert, dass Jesus im ersten Sturm schläft. Nun kann man sagen: Gut, Jesus wird ja auch nichts passieren, er ist immerhin der Sohn Gottes. Das beweist er dann ja auch eindrucksvoll, indem er Wind und Wellen beruhigt. Aber ich sehe da noch mehr als das Vertrauen auf Gottes Hilfe in der Not. Ich sehe hier das beruhigende Wissen, dass das Chaos jederzeit einbrechen kann. Gemütlichkeit ist niemals für immer. Warum also nicht genießen, bis es so weit ist und man handeln muss?
Wir kuscheln uns nicht in unsere Decken im Gedanken daran, dass wir wieder irgendwann hinaus in den Regen müssen. Daraus lässt sich eine grundsätzliche Haltung machen. Sei dir der Bedrohung deines ruhigen Zustandes bewusst. Aber lass diese Ruhe nicht vollständig durch die Bedrohung bestimmen. Lass dich wecken, wenn es nötig wird, aber finde auch ein Kissen, auf dem du bis dahin ausruhen kannst. In „Corona-Worten“ könnte man sagen: Starre nicht auf Zahlen, sondern sei bereit, dein Leben anzupassen, wenn es nötig ist.
Darum lautet meine Wochenaufgabe: Kuscheln Sie sich ein in der Bereitschaft, sich dem Sturm zu stellen, wenn er aufkommt. Versuchen Sie, nicht enttäuscht zu sein, wenn es so weit ist, und sie sich dem Unbequemen stellen müssen. Und vor allem: Starren Sie nicht auf das Ende einer schönen Zeit, die Sie gerade erst beginnen! Machen Sie es wie Jesus: Gehen Sie an Bord und nehmen Sie sich erst einmal ein Kissen.
Gott behüte Sie!
Ihr Frank Muchlinsky