Es ist ein historischer Moment im Lutherischen Zentrum in Warschau: 45 von 59 Synodalen der Evangelisch-Augsburgischen (Lutherischen) Kirche in Polen sprechen sich am 16. Oktober für die Frauenordination aus, es gibt 13 Gegenstimmen und eine Enthaltung. Die meisten Synodalen stimmen in einen spontanen Jubel ein.
Die Abstimmung kam für alle eine überraschend. Eine Aussprache zur Frauenordination stand zwar auf der Tagesordnung, nicht aber die Abstimmung, die erst für die Frühlingssynode 2022 geplant war.
Vor sechs Jahren hatte der leitende Bischof der Kirche, Jerzy Samiec, den Antrag auf Zulassung der Frauenordination gestellt. Doch obwohl die Mehrheit der Synodalen klar für die Frauenordination war, reichten die Stimmen für eine Gesetzesänderung nicht aus. Die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit wurde knapp verfehlt.
Bischof zählt zu den Befürwortern
Nun stellte die synodale Frauen-Kommission den Antrag für die erneute Abstimmung. Würde der Antrag diesmal eine Mehrheit bekommen? In den sozialen Medien wurde darüber hitzig debattiert.
In der Aussprache am Abstimmungstag hoben einzelne warnend den Zeigefinger: man müsse doch die Tradition achten und die Einheit bewahren. Eine Frau dürfe nicht über einem Mann stehen - und das, obwohl Frauen in Talaren schon seit langem in Polen predigen durften. Die Mehrheit argumentierte indes gut evangelisch aus theologischen Positionen heraus, brachte biblische Überlieferung, das allgemeine Priestertum aller Getauften und die bisherige kirchliche Praxis ins Gespräch.
Nach dem Jubel über den Abstimmungserfolg bedankte sich Jerzy Samiec bei der Synode. Der Bischof, selbst lange Zeit Gegner der Frauenordination, zählte seit Jahren zu deren Befürwortern. "Wenn ich gewusst hätte, dass wir heute darüber abstimmen werden, würde ich jetzt keine Krawatte, sondern mein Bischofskreuz und Kollar tragen", sagte der Bischof hörbar bewegt. Samiec beschwor die Einheit der Kirche und unterstrich, dass auch die Gegner der Frauenordination ihren festen Platz in der Kirche hätten.
Diskussion seit 40 Jahren
Die Theologiestudentin Ada Warowny half im technischen Dienst bei der Abstimmung mit. Für junge Frauen wie sie ist die Entscheidung der Synode zukunftsweisend. Mit Blick auf die Porträts der Nachkriegsbischöfe - alle bis auf einen eher Gegner der Frauenordination - sagte sie: "Ich hoffe, dass hier eines Tages auch ein Bild einer Bischöfin hängen wird."
Über Frauenordination diskutierte man bei den polnischen Lutheranern mit Unterbrechungen schon seit den 70er Jahren. 1963 ermöglichte man Theologinnen eine der Ordination ähnliche Lehrbeauftragung - sie wurden im feierlichen Gottesdienst eingesegnet und als Katechetinnen in die Gemeinden geschickt. Praktisch aber haben sie Wortgottesdienste gehalten, notfalls auch Abendmahl eingesetzt und sich eigentlich um alles gekümmert - freilich unter Aufsicht der Männer.
Theologisch-rechtlicher Wirrwar
Ab 1999 konnten Frauen auch Diakoninnen werden. Sie galten nun als Geistliche, ihre Aufgaben änderten sich dadurch aber nicht. 2008 stellte der synodale Ausschuss für Theologie und Konfession fest, dass es keine theologischen Vorbehalte gegen die Frauenordination gebe. Im Jahr 2016 ermöglichte die Synode Diakoninnen und Diakonen die Einsetzung des Abendmahls, was zuvor lediglich mit bischöflichem Dispens möglich war. Unter den 13 Diakon:innen der Augsburgischen Kirche ist nur ein einziger Mann.
Der theologisch-kirchenrechtliche Wirrwar, der aus merkwürdigen Kompromisslösungen und unterschwelligen Vorurteilen entstand, funktionierte sehr lange. Im Blick auf internationale Kontakte mit Glaubensgeschwistern aus der lutherischen Welt gab es aber immer wieder schizophrene Situationen: Wenn etwa schwedische (Erz)bischöfinnen oder deutsche Pfarrerinnen nach Polen kamen, wurde die Tatsache, dass sie ordinierte Theologinnen sind, widerspruchslos anerkannt. Gleichzeitig löste es Befremden aus, weil die gleichen Rechte polnischen Theologinnen verwehrt wurden.
Keine Austrittswelle erwartet
Etliche polnische Theologinnen verzichteten auf den Dienst in der Kirche, manche sind ausgereist - etwa Paulina H?awiczka, heute Konsistorialrätin und Pfarrerin der Lutherischen Kirche in Großbritannien. Im Rahmen der Porvoo-Gemeinschaft arbeitet sie auch als Priesterin in der anglikanischen Diözese Southwell and Nottingham.
Der Widerstand gegen die Frauenordination in der lutherischen Kirche in Polen ist heute gering, und man erwartet keine Über- und Austrittswelle. Hier und da wird noch argumentiert, die Entscheidung werde die ökumenischen Kontakte etwa zur katholischen oder orthodoxen Kirche erschweren.
Der Beschluss der Synode ist der erste Schritt, das Amtsverständnis und die daraus resultierenden Schlussfolgerungen im Kirchenrecht in Ordnung zu bringen. Wichtiger ist aber, dass man die Beziehungen mit Schwesterkirchen ordnet, die Einheit der evangelischen Kirchen stärkt und vor allem Konsequenzen aus der evangelisch-lutherischen Tauf- und Amtstheologie zieht. Die Frage des Geschlechts theologisch zu überhöhen wäre schlicht und einfach unevangelisch.
Lutheraner nicht die ersten
Die Evangelisch-Augsburgische (Lutherische) Kirche in Polen stellt mit etwas 62.000 Mitgliedern die größte protestantische Kirche in Polen dar. Sie ist aber nicht die erste Kirche, die Frauen zu Pfarrinnen ordiniert. Frauen werden in Polen schon seit 1929 zu Priesterinnen und Bischöfinnen geweiht, und zwar in der Katholischen Kirche der Mariaviten, die ökumenische Offenheit und traditionelle tridentinische Messe verbindet. 2003 wurde in der winzigen evangelisch-reformierten Kirche Wiera Jelinek zur Pfarrerin ordiniert, heute leitet sie mit ihrem Mann eine Gemeinde in Tschechien. Auch Polens Methodisten ordinieren offiziell Frauen, und auch eine Pfingstkirche in Polen bekam vor einem Jahr ihre erste Pastorin.
Die evangelisch-lutherische Kirche in Polen war eine der letzten lutherischen Kirchen in Europa, die keine Frauen zu Pfarrerinnen ordinierte. 2016 machte die lettische lutherische Kirche von Erzbischof Janis Vanags Schlagzeilen, als sie die Frauenordination zurücknahm. Vor kurzem votierte die lettische Kirche deshalb sogar für den Austritt aus der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa.
2023 kommt die lutherische Welt nach Krakau zur Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes. Für das katholisches Krakau und Polen wird es auf jeden Fall interessant – nicht zuletzt wegen der Bischöfinnen und Pfarrerinnen auf den Plätzen und in öffentlichen Verkehrsmitteln.
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