Es ist zeitweise eine ziemlich düstere Bestandsaufnahme, die der 6. Evangelische Medienkongress da vornimmt: Medien können wie ein Keil in der Gesellschaft wirken und spalten – vor allem, wenn sie sich selbst nicht mal als Medien verstehen, wie die großen Social Media-Plattformen und Tech-Unternehmen, von Facebook und Twitter bis Google, Bytedance (Betreiber von TikTok) und Co. Der Medienbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Markus Bräuer, hatte in Kooperation mit dem Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) und dem Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) am 12. und 13. Oktober nach Mainz zum ZDF eingeladen - allerdings nur die Referierenden und Diskutierenden. Coronabedingt musste das interessierte Publikum zuhause bleiben und konnte bequem per Videokonferenz teilnehmen.
Der durch die Pandemie ausgelöste mediale Digitalisierungsschub ist natürlich auch verschiedentlich Thema an den beiden Tagen. So sagt der EKD-Ratsvorsitzende und bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm bereits in seinem Eröffnungs-Grußwort, dass es diesbezüglich eine Menge Erfahrungen aufzuarbeiten gebe. Denn: „Die seelischen Inzidenzen spielten zu Beginn der Pandemie kaum eine Rolle an den medialen Lagerfeuern der Nation.“ Und so betont denn auch an gleicher Stelle der Gastgeber, ZDF-Intendant Thomas Bellut, dass die Aufgabe der Medien auch sei, sich kontinuierlich weiter selbst zu hinterfragen.
Fehlende Diversität und Social Scoring
Dem wird dann an den beiden Tagen durchaus beeindruckend Folge geleistet und das spaltende Potenzial von Medien und digitaler Kommunikation immer wieder herausgearbeitet. So geht es auf einem Podium etwa um „Haltung in der Unterhaltung“. Und die anwesenden Macherinnen und Macher von fiktionalen Produktionen in linearem Fernsehen wie bei Streaming-Anbietern sind sich einig, dass in puncto Diversität vor und hinter der Kamera noch einiges nachzuholen sei. So erklärt Drehbuchautorin Annette Hess, dass beispielsweise immer noch nur 20 Prozent der Stoffe von Frauen geschrieben würden – was schlussendlich zu „Männerfernsehen“ führe.
Auch die Mechanismen von „Social Scoring“, also Überwachung und Belohnung mittels Kamera und Big Data werden durchleuchtet: Während Ulf Röller, Leiter des ZDF-Studios Ostasien von seinen Erfahrungen in China berichtet, erklärt Lorena Jaume-Palasí, Executive Director der Ethical Tech Society Berlin, welches ethisch-wissenschaftliche Missverständnis zugrunde liege: So werde auch im Westen durch Projektionen aufgrund von Datenberechnungen (wie bei der Kreditvergabe oder in Asylverfahren) Menschen letztendlich verwehrt, sich in Zukunft anders zu entwickeln als errechnet. Eine Kategorisierung aufgrund einer selektiven Verwendung von Daten bedeute immer auch eine Einschränkung und bilde nicht die Kontinuität des Lebens ab. Und das wiederum sei weder rational noch neutral, wie immer suggeriert werde.
Als größter Treiber von Keilen in die Gesellschaft aber werden bei diesem Kongress die Sozialen Medien identifiziert. So sehen die Podiumsteilnehmer:innen zum Thema „Verschwörungsmythen“ in Social Media-Plattformen einen möglichen Verstärker für diese Narrative. Die Medienpädagogin Alia Pagin erklärt zum Beispiel, dass Verschwörungsnarrative häufig durch Fake News untermauert würden - was schließlich zu Hatespeech und letztendlich in einzelnen Fällen sogar zu realer Gewalt führen könne, wie etwa beim Amoklauf in Christchurch (Neuseeland).
Der SPIEGEL-Reporter und Silicon-Valley-Kenner Thomas Schulz macht in seiner Keynote klar, dass bei ungebrochener Nutzung digitaler Medien (Nutzer:innen hierzulande griffen zur Zeit 58-mal am Tag zum Smartphone) auch der Einfluss von Social Media-Plattformen ungebremst sei: Die Entscheidung von Firmen wie Facebook, Fake News gleichberechtigt neben seriöse Nachrichten zu stellen, sei eine politische Entscheidung der Konzerne. Diese handelten so, weil die Interaktion der Nutzer:innen die Einnahmen steigere. Interaktion wiederum entstehe aber viel häufiger bei negativen Emotionsäußerungen, weshalb diese durch die Algorithmen begünstigt würden. Diese Entwicklungen, so prognostiziert Schulz, würden sich in den nächsten zwei bis fünf Jahren noch verstärken, weil die zugrundeliegende Künstliche Intelligenz als Basistechnologie fungiere, die rasant ausgebaut werde - so wie einst die Dampfmaschine oder die Elektrizität.
"Software ist kein Wetterphänomen, sie wird gestaltet!"
In die gleiche Richtung argumentiert auch Constanze Kurz, Informatikerin und Sprecherin des Chaos Computer Clubs. Schließlich basiere das Geschäftsmodell von Unternehmen wie Google oder Facebook auf den Daten ihrer Nutzer:innen. Hier müsse es mittlerweile nicht mehr nur um reinen Datenschutz gehen, sondern angesichts des massenhaften Trackings durch die Tech-Konzerne um regelrechten „Manipulationsschutz“. So nutzten zum Beispiel nur weit unter 1% der Menschen in Deutschland Software, die Tracking offen lege oder verhindere. Die jüngsten Erkenntnisse durch die Whistleblowerin Haugen belegten aber erneut, dass Firmen wie Facebook auch um die schädlichen Konsequenzen wüssten, die durch die Manipulationen hervorgerufen würden, so Kurz. Und das sowohl im Großen (politische Einflussnahme, Beispiel „Cambridge Analytica“) als auch im Kleinen, bei Individuen (insbesondere Minderjährigen). „Software ist kein Wetterphänomen, sie wird gestaltet!“ so Kurz. Deshalb solle man diejenigen, die das mit negativen Folgen für Menschen täten, nicht damit davonkommen lassen. Nicht zuletzt sollten auch andere Medien ihre Abhängigkeit von solchen Plattformen hinterfragen.
Das tun sie dann auch auf diesem Kongress. Sophie Burkhardt, zuständig für Formatentwicklung und Digitalstrategie im ZDF, erzählt davon, wie sich das öffentlich-rechtliche Content-Netzwerk funk auf den kommerziellen Social Media-Plattformen bewegt und welche Widersprüche und Schwierigkeiten sich dabei auftun. Zum Beispiel funktioniere Information als Inhalt erstaunlich gut auf diesen Plattformen. Eine Strategie sei auch die Diversifizierung, das Unterwegssein auf vielen Plattformen, um von keiner einzelnen abhängig zu sein. Außerdem versuche man immer wieder, die Plattformen selbst zu nutzen, um den Nutzer:innen einen mündigeren Umgang damit beizubringen. Trotzdem aber bleibe eine Ambivalenz: Dem schnellen Erfolg stünde als Alternative die langfristige Unabhängigkeit gegenüber.
So kommt es denn auch auf dem abschließenden Podium dazu, dass ZDF-Chefredakteur Peter Frey berichtet, dass das ZDF über die Social Media-Plattformen zwar durchaus wieder andere, jüngere Zielgruppen erreiche. Aber: Bei diesen Plattformen müsse unbedingt das Verantwortungsprinzip etabliert werden. Die Politik müsse Wege finden, die Plattformen auf europäischer Ebene zu regulieren, so Frey.
Wolfgang Kreißig, Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten, stimmt dem umgehend zu und bemerkt, dass der Medienstaatsvertrag bereits Akzente in diese Richtung gesetzt habe. Allerdings sei eine Regulierung auf europäischer Ebene kompliziert - vor allem, weil zwischen den Zielen einer wirtschaftlichen und denen einer medienpolitischen Regulierung moderiert werden müsse.
Eine auf dem Podium ist da naturgemäß ganz anderer Meinung: Julia Reuss, Director Public Policy Central Europe bei Facebook, lehnt eine Verantwortung der Plattformen ab: Facebook sei kein Medienunternehmen, die Nutzer:innen sollten für ihre Inhalte haften, nicht die Plattformbetreiber. Die Identifizierung und Verfolgung strafrechtlich relevanter Inhalte sei ohnehin eigentlich Aufgabe der Behörden, ist Reuss überzeugt. Trotzdem würden die meisten hetzerischen Inhalte bei Facebook vom Unternehmen selbst herausgefiltert, weil weder Facebook noch die Werbetreibenden ein Interesse daran hätten, dass diese Inhalte vielfach auftauchten.
"Diskurslogik statt Kommerzlogik"
Claus Grewenig, stellvertretender Vorstandsvorsitzender von VAUNET – Verband Privater Medien, ist indes der Meinung, dass Facebook sehr wohl Verantwortung übernehmen müsse: Schließlich kuratiere die Plattform Inhalte, etwa über diverse Algorithmen. Er stört sich auch am „Hausrecht“ der Plattformen: Es könne nicht sein, dass beispielsweise RTL als Medienunternehmen reguliert sei, beim Zugang zu einer Social Media-Plattform aber noch einer zweiten Kuratierung durch dieses Unternehmen unterliege.
Jörg Bollmann, Direktor des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (GEP) weist darauf hin, dass bei einem Verantwortungsprinzip aber auch ein entsprechender Aufwand betrieben werden müsse. Ein Aufwand, den sich zum Beispiel Redaktionen tagtäglich leisten würden in ihrer Arbeit und den damit einhergehenden Diskussionen und Abwägungen.
Wolfgang Kreißig allerdings zeigt sich skeptisch gegenüber einer alleinigen Selbstverantwortung der Plattformbetreiber. Es brauche vielmehr auch einen klaren rechtlichen Rahmen und alternative Regulierungsmodelle, zum Beispiel über AGBs oder Ko-Regulierung.
Und die (evangelische) Kirche? Für die formuliert stellvertretend Kirchenpräsident und „Medienbischof“ Volker Jung die Zwickmühle zwischen der Nutzung der kommunikativen Freiräume auf den Social Media-Plattformen („Kirche muss da sein, wo die Menschen sind!“) und der moralischen Verpflichtung, das Bezahlen mit Daten und die Manipulation durch die entsprechenden Plattformen nicht zu unterstützen.
Heinrich Bedford-Strohm formuliert es so: „Die Kommunikation soll einer Diskurslogik folgen und nicht einer Kommerzlogik.“ Er hofft auf eine „Allianz der Guten“ und eine Bewegung heraus aus der Ohnmacht mit der Kraft der Zivilgesellschaft als regulierender Instanz. Also auch hier: Regulierung. Diese Regulierung, so fordert Sophie Burkhardt im Gespräch mit ihm, müsse allerdings durch alternative kreative und vernetzte Ansätze ergänzt werden, um agiler und schneller handeln zu können. Alternativen, wie sie auch Thomas Schulz gerne sähe, denn: Mit Regulierung alleine sei es ohne Alternativen nicht getan.
Wie ambivalent dieses Feld sich darstellt, zeigt sich gleichzeitig bei einer den Kongress begleitenden Diskussion auf Twitter: Warum, so wird dort gefragt, sind digitale Medienschaffende aus dem kirchlichen Raum, christliche Social Media-Blogger:innen auf dem Kongress gar nicht vertreten, um von ihren Erfahrungen zu berichten?
Einigkeit beim Thema Medienkompetenz
Eine Sache aber gibt es - da sind sich über beide Tage hinweg wirklich alle Beteiligten des Kongresses immer wieder einig -, die sei wirklich hilfreich und könne gar nicht genug gefördert werden: Medienkompetenz durch verstärkte medienpädagogische Bildung. Und zwar über alle Altersgruppen hinweg. Medienpädagogik gehöre in Schullehrpläne genau so wie in Senior:innenworkshops.
So könnte ein mögliches Fazit des Kongresses darin bestehen, dass dort, wo Medien nicht zum Kitt der Gesellschaft taugen, sie durch einen kompetenten - und notfalls regulierten - Umgang der Nutzer:innen zumindest nicht zum Keil werden sollten. Das aber scheint noch ein ziemlich weiter Weg zu sein. Und noch dazu einer, den sämtliche Medien ganz offenbar nicht alleine gehen können.