Meterhohe Pflanzen, dicke Kolben mit goldgelben Körnern bis in die Spitze: Stephan Warnken freut sich über seine Maisernte in diesem Herbst, die deutlich besser ausfällt als in den trockenen Jahren zuvor. "Der Mais als Futter ist für unseren Hof mit 50 Milchkühen extrem wichtig", sagt der Landwirt. Das Wetter mit viel Regen und trotzdem ausreichend Sonne hat auf seinen Feldern in Huxfeld bei Bremen diesmal für üppige Pflanzen gesorgt.
In diesen Tagen wird der Mais geschnitten, gehäckselt und zu Silage verarbeitet. "Das ist die Futtergrundlage für unsere Tiere für fast zwölf Monate", blickt Warnken voraus. Der Trockenstress der vergangenen Jahre habe gezeigt, dass eine solche Ernte nicht selbstverständlich sei. "Trotz aller Technik gibt es doch Dinge wie die Witterung, die wir nicht im Griff haben", betont der Kreislandwirt. Dass es in diesem Jahr so gut gelaufen sei, dafür sei er dankbar.
Überhaupt spielt das Erntedankfest mit vielen geschmückten Kirchen auf dem Land noch immer eine wichtige Rolle, beobachtet Warnken: "Ich kann eine Menge beeinflussen - aber den Erfolg bestimmen, das kann ich nicht", meint er und spricht damit einen Gedanken aus, der schon in vorchristlicher Zeit wichtig war: Eine gute Ernte, das war etwas, was der Mensch zu keiner Zeit alleine in der Hand hatte.
Kein Platz für Beschimpfung
Wenn Obst, Gemüse, Getreide und Futterpflanzen geerntet sind, zeigt sich, ob sich die Mühe der vergangenen Monate gelohnt hat. "Zu Erntedank geht es aber auch um Wertschätzung - darum, dass die Arbeit der Bauern gewürdigt wird", betont die hannoversche Landwirtschaftspastorin Ricarda Rabe, die selbst vom Hof kommt.
Bauern-Bashing dagegen habe genauso wie Verbraucher-Beschimpfung zu Erntedank keinen Platz, findet Rabe. Wie die Landwirtschaftspastorin kritisiert auch der hannoversche Landesbischof Ralf Meister, dass aus dem Respekt gegenüber der Arbeit der Landwirte heute oft Misstrauen und Verdacht geworden sei. "Beides haben sie nicht verdient", sagt Meister. Die Bitte im Vaterunser "Unser täglich Brot gibt uns heute" lege die Verantwortung für den Boden und die Tiere, für die Luft, das Wasser und die Pflanzen in die Hand von uns allen - "in die Hand der Landwirtinnen und Landwirte genauso wie der Ernährungswirtschaft und aller Verbrauchenden".
Gemüse von der Werft
Doch der Alltag ist voller Brüche, meint Warnken. Der Bürger wolle Artenvielfalt, Tierwohl und Mindestlohn, der Verbraucher das meiste für den billigsten Preis. "Bürger und Verbraucher - das ist ja ein und dieselbe Person, die aber anders handelt als sie denkt. Da können wir uns alle ertappen, das ist krass."
Daran könnte sich vielleicht etwas ändern, wenn Stadtmenschen wieder mehr darüber wüssten, wie ihre Lebensmittel entstehen, wie sie am besten gelagert und verarbeitet werden. Ein Schulfach zu Ernährungs- und Verbraucherwissen könnte genauso wie Schulgärten viel bewirken, sagt Pastorin Rabe, der auch schon die Überzeugung begegnet ist, dass Kartoffeln auf Bäumen wachsen. "Mit mehr Wissen bekommen Kinder auch ein Gespür dafür, dass Möhren nicht aus dem 3-D-Drucker kommen."
Da sei schon viel in Bewegung, beobachtet Rabe, etwa bei Projekten der urbanen Landwirtschaft wie der "Gemüsewerft" in Bremen - einem inklusiven Projekt, mit dem in knapp 1000 Hochbeeten Gemüse, Obst, Kräuter, Hopfen und Jungpflanzen erzeugt werden. "Das ist ein Showroom für Ernährung", beschreibt Geschäftsführer Michael Scheer. "Er vermittelt Kenntnisse zu Ernte, Verarbeitung und Zubereitung von Lebensmitteln, veranschaulicht Aufwand und Mühe der Herstellung und wirbt für den saisonalen Konsum regionaler Lebensmittel."
Auch wenn das Erntedankfest in den Städten längst nicht mehr so wichtig ist wie auf dem Land und Projekte wie die "Gemüsewerft" den städtischen Lebensmittelbedarf nicht decken können: Die neue Lust, selbst zu ernten, könnte nach Überzeugung des Biologen Scheer unter anderem zu einem respektvolleren Umgang mit Nahrungsmitteln führen: "Wer versteht, wie viel Zeit und Arbeit der Anbau erfordert, wird bereit sein, höhere Preise dafür zu bezahlen und weniger Lebensmittel in den Müll zu werfen."