Hauptkommissar Jens Stellbrink aus Saarbrücken hat 2019 seinen Hut genommen und ohnehin nur acht Filme lang ermittelt, aber die Krimis mit Devid Striesow waren stets sehenswert. Heute zeigt der WDR noch mal seinen achten Fall, "Söhne und Väter" (2017), der sehr ungewöhnlich beginnt: Jetzt kommen die Toten schon persönlich zum Beerdigungsinstitut! Enno stand allerdings noch gar nicht auf der Liste, und vermutlich war sein Ableben auch eher ein Versehen, aber die Mischung aus einer Überdosis Alkohol und den fröstelnden vier Grad im Kühlraum waren zuviel für den jungen Mann.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
"Söhne und Väter" ist trotzdem keine Bestatterkomödie; Zoltan Spirandelli meint es ziemlich ernst mit seinem Film, selbst wenn das vom Regisseur überarbeitete Drehbuch (Michael Vershinin) immer wieder heitere Momente einstreut. Deshalb ist auch der Auftakt der Geschichte längst nicht so komisch, wie die drei Jungs, die sich nachts am Leichnam ihres Lehrers vom Berufsbildungszentrum zu schaffen machen, ihren Streich finden: Weil der Mann offenbar ein Schinder und als Stiefvater ziemlich niederträchtig war, verabschiedet ihn das Trio mit einer gemeinen Videobotschaft ins Jenseits. Als Enno es sich auf einer Liege bequem macht, lassen ihn die beiden Freunde kurzerhand zurück; irgendjemand, der dem Toten noch einen Abschiedskuss auf die kühle Stirn gedrückt hat, hat den Jungen im weiteren Verlauf der Nacht in den Kühlraum geschoben. Und weil Stellbrink mit einem Blick erkennt, dass auch der Lehrer keines natürlichen Todes gestorben sein kann, muss er nun gleich zwei Mordfälle aufklären.
Mindestens so interessant wie die Suche nach den Tätern ist allerdings jene Ebene, der dieser "Tatort" seinen Titel verdankt, zumal es gleich fünf Vater/Sohn-Beziehungen gibt. Die Rollen der Jugendlichen waren dabei sicher nicht einfach zu spielen, aber mit wenigen Ausnahmen allzu groß geratener Gesten machen die Darsteller das ziemlich gut. Die schwierigste Aufgabe hatte Emilio Sakraya als Karim. Der tote Lehrer war sein Stiefvater. Der Mann wird in Saarbrücken als Radsportlegende verehrt, weil er mal eine Etappe der Tour de France gewonnen hat, hatte aber wohl große charakterliche Defizite; unter anderem hat er seinen Stiefsohn bei den Eltern von dessen Freundin denunziert. Deren Bruder Pascal (Emil Reinke) ist ein Junge aus gutem Hause, leidet aber ebenso wie sein Vater unter einer tyrannischen Mutter; sie ist die einzige Figur dieses Films, die in ihrer übertriebenen Einseitigkeit zur Karikatur wird. Dritter im Bunde war Enno; die Blutergüsse an seinem Körper sind ein untrüglicher Hinweis darauf, dass sein Vater ihn nach der Devise "Zuckerbrot und Peitsche" erzogen hat, wobei sich Enno das Zuckerbrot in Form von Alkohol selbst besorgen musste. Karim wiederum, der ein eindrucksvolles Strafregister besitzt, hat in dem Koch Carlinó (Jophi Ries) einen Ersatzvater gefunden. Der Junge erinnert den Mann an sich selbst in diesem Alter: "viel Potenzial, wenig Durchblick". Auch der kluge Koch hatte einst eine Menge auf dem Kerbholz, bevor er seine Berufung gefunden hat. Zu seinen erwiesenen Straftaten gehört unter anderem Urkundenfälschung, was beinahe einen perfekten Mord zur Folge hätte, aber Stellbrink ist ja auch nicht blöd; das hindert ihn nicht daran, den Koch sympathisch zu finden. Kein Wunder, dass ihm die Auflösung des Falls nicht gefällt.
Dem Film tut diese Konstellation ungemein gut, und für die innere Spannung ist es ohnehin wichtig, dass Striesow mit Jophi Ries einen ebenbürtigen Kontrahenten hat. Weil sich der kleine Saarländische Rundfunk nur einen Sonntagskrimi pro Jahr leisten kann, sind die Kommissare aus Saarbrücken stets Außenseiter in der "Tatort"-Famile. Das war bei Striesow vor allem deshalb schade, weil er diese Rolle so unverwechselbar verkörpert hat: Wegen seines freundlichen Jungengesichts wird Stellbrink gern unterschätzt. Sehr hübsch ist auch die Idee, ihn ebenfalls mit einem Sohn zu versorgen. Bislang beschränkten sich die Kontakte zu Moritz (Ludwig Simon) auf eine Fernbeziehung, aber nun ist der Junge alt genug, um selbst über sein Leben zu entscheiden; auch wenn Vater Jens es mit eher gemischten Gefühle sieht, dass sich seine hübsche junge Kollegin Mia (Sandra Maren Schneider) weit über die nötige medizinische Versorgung hinaus innig um den am Fuß verletzten Moritz kümmert. Dank der Vater/Sohn-Szenen kommt auch Stellbrinks ungewöhnliches Domizil, zwei Glaskästen auf einem Hausdach, noch besser zur Geltung. Der eigentliche Fall rückt dabei immer wieder etwas in den Hintergrund, aber das ist nicht weiter schlimm, zumal Spirandelli für einige verblüffende Momente sorgt. Nicht neu, aber eindrucksvoll umgesetzt ist beispielsweise eine Montagesequenz, die abwechselnd Saarbrücken und eine täuschend echt wirkende Modellbaulandschaft zeigt. Der Regisseur sorgt ohnehin regelmäßig für heitere Momente, etwa, als Karim seinen Freund Pascal vor Stellbrink warnt und der antwortet, von der Polizei sei nichts zu sehen, da sei bloß "ein Opa auf dem Roller." Sehr skurril ist auch die Szene, in der Pascals Mutter ein Zeichen setzen will und das Motorrad ihres Sohnes "erschießt". Davon abgesehen ist "Söhne und Väter" angesichts der großen juvenilen Unordnung mindestens ebenso viel Jugenddrama wie Krimi.