Der MDR zeigt heute noch mal den zweiten Fall des weiblichen "Tatort"-Duos aus Dresden, das 2016 mit einem Paukenschlag angetreten war: Der Premierenfilm "Auf einen Schlag" mit Hanczewski und Alwara Höfels war ein echter Knüller, sorgte dank der Geschichte aus dem Volksmusik-Milieu für viele Bosheiten und mutete mitunter wie eine Parodie an; bis eine der drei Ermittlerinnen ermordet wurde. Seither lastet die Last der komödiantischen Ebene offenbar vor allem auf den Schultern von Martin Brambach, der einen Chef alter Schule spielt, was in diesem Fall vor allem hießt: Der Mann erinnert sich regelmäßig jener seligen Zeiten, als Frauen bei der Polizei noch für die Schreibarbeit zuständig waren. Immerhin geben ihm seine selbstbewussten Kolleginnen fleißig Kontra.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Fall Nummer zwei ist nicht ganz so fulminant wie der Auftakt, trägt sich aber unter Menschen zu, die nicht oft zu den handelnden Figuren von Fernsehfilmen gehören: Ein bekannter Dresdener Wohltäter ist von einer Brücke gestürzt. Der Mann hat sich für Minderheiten aller Art engagiert, allen voran für Obdachlose, und weil er sich bedroht fühlte, hat er drei Männer zu seiner Leibgarde erkoren. Allein dieses Trio ist derart wunderbar ausgedacht und gespielt, dass etwaige Schwächen des Films ohnehin nicht mehr ins Gewicht fallen würden: Wenn Arved Birnbaum, David Bredin und Alexander Hörbe richtig loslegen und aufgeregt durcheinander plappern, wirken die drei wie Wladimir und Estragon, die endlich Godot gefunden haben.
Allerdings geraten ausgerechnet die wohnsitzlosen Leibwächter unter Mordverdacht, zumal sie zum Zeitpunkt der Tat offenkundig betrunken waren; angeblich hat es Streit mit ihrem Gönner gegeben. Die Männer schwören jedoch Stein und Bein, unschuldig zu sein, und präsentieren auch gleich einen mutmaßlichen Täter, dessen Auftraggeber ausgerechnet ein angehender Stadtrat sein soll. Als sie eine polizeiinterne Mauschelei mitbekommen, wird ihnen klar, dass ihnen, den Pennern, ohnehin niemand glaubt.
Die Geschichte lebt vor allem von den ungewöhnlichen Figuren. Die beiden Ermittlerinnen sind dagegen im "Tatort"-Alltag angekommen; daran ändern auch die unterhaltsamen Wortgefechte mit ihrem Vorgesetzten nichts. Die Abstecher ins Privatleben der Frauen wirken zunächst sogar überflüssig, auch wenn die Kommissarinnen dadurch lebensnäher werden: Henni Sieland (Hanczewski) ist alleinerziehende Mutter und hat Ärger mit ihrem Sohn, Karin Gorniak (Höfels) hat Ärger mit ihrem Freund. Später wird deutlich, warum Ralf Husmann und Koautor Mika Kallwass diese Exkurse unternommen haben: Als Sielands Sohn beim Klauen erwischt wird, kehren die uniformierten Kollegen den Vorfall unter den Teppich; das ist der Moment, in dem Hansi, Platte und Eumel klar wird, dass sie fortan besser die Klappe halten. Gorniaks Privatleben wiederum kommt mit dem Fall in Berührung, als sie das Trio in einer kalten Winternacht mit nach Hause bringt.
Sehr hübsch sind auch die Einlagen von Martin Brambach, denn das Drehbuch gönnt Peter Michael Schnabel eine kleine Leidenschaft für die verhuschte Wiebke (Jule Böwe) aus dem Betrugsdezernat, die schon immer davon geträumt hat, für die Mordkommission zu arbeiten. Die beiden kernigen Kommissarinnen behandeln die Kollegin ziemlich mies, dabei erweist sie sich als überraschend nützlich, als es darum geht, den Bruder (Urs Jucker) des Opfers in die Enge zu treiben. Der selbstverliebte Schnabel findet in Wiebke zudem eine Schwester im Geiste: Sie ist die einzige, die seine preiswerten Späße witzig findet; beide, Brambach und Böwe, spielen diese kleinen Einlagen sehr schön.
Ähnlich sehenswert sind die Bilder. Regie führte der vielfach ausgezeichnete Dror Zahavi. "Der König der Gosse" ist seine 16. Zusammenarbeit mit Kameramann Gero Steffen; die beiden haben Zahavis wichtigste Filme zusammen gedreht, darunter "Marcel Reich-Ranicki", "Zivilcourage", "München 72" und auch einen herausragenden Kölner "Tatort", "Franziska". Gerade bei den Krimis spielte die Bildgestaltung stets eine herausragende Rolle. Das gilt auch für "Der König der Gosse": Die Aufnahmen sind geprägt von einer blauen und gelben Lichtgebung, die dem Film eine spezielle Atmosphäre verleiht. Gerade die Nachtbilder sind ausgesprochen eindrucksvoll; zu Beginn sieht Dresden dank der vernebelten Aufnahmen wie das viktorianische London aus, in dessen Gassen Jack the Ripper sein Unwesen treibt. Im Vergleich zum imposanten Anfang ist der Schluss allerdings etwas unbefriedigend.