Berlin (epd). Rund 60 Jahre nach dem Contergan-Skandal bekommen einem Zeitungsbericht zufolge noch immer viele Frauen im gebärfähigen Alter Medikamente verschrieben, die zu Fehlbildungen des Embryos führen können. Wie das „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND/Donnerstag) meldet, erhielten allein bei der Krankenkasse Barmer im Jahr 2018 fast 154.000 Frauen zwischen 13 und 49 Jahren sogenannte teratogene Arzneimittel, die unter anderem das zentrale Nervensystem von Ungeborenen schädigen können.
Selbst während einer Schwangerschaft wurden demnach derartige Medikamente verschrieben: 663 von 66.500 bei der Barmer versicherten Frauen, die 2018 eine Entbindung hatten, seien diese Präparate im ersten Schwangerschaftsdrittel verordnet worden. Das ergebe sich aus dem Arzneimittelreport 2021 der Krankenkasse, der am Donnerstag veröffentlicht wird.
„Spätestens mit Eintritt der Schwangerschaft darf kein Teratogen mehr zum Einsatz kommen. Genau genommen muss der Schutz des ungeborenen Kindes bereits davor beginnen”, sagte Barmer-Vorstandschef Christoph Straub dem RND. Deshalb sollten auch Frauen im gebärfähigen Alter, die ständig Medikamente einnehmen müssten, einen Rechtsanspruch auf einen bundeseinheitlichen Medikationsplan erhalten, forderte er. Damit könne das Risiko für das ungeborene Leben massiv reduziert werden. Derzeit bestünden “gefährliche Informationslücken", warnte er.
Zu den bekannten Teratogenen gehört dem Bericht zufolge der zur Behandlung von Epilepsie eingesetzte Wirkstoff Valproinsäure. Das Präparat könne unter anderem das zentrale Nervensystem des Ungeborenen sowie Herz, Gaumen, Extremitäten, Genitalien und das Gesicht schädigen. Die Gefahr der Bildung einer Gaumenspalte bestehe bei Topiramat. Das Medikament werde zur Migräneprophylaxe eingesetzt.
Das Medikament Contergan war von 1957 bis 1961 auf dem Markt. Insgesamt kamen wegen des Schlafmittels rund 10.000 Kinder mit schweren Missbildungen an Armen und Beinen auf die Welt, die Hälfte von ihnen in Deutschland.